Ein Leben unter staatlicher Beobachtung

Zu Gast in Freiburg: Der Berliner Soziologe Andrej Holm saß drei Monate in Untersuchungshaft und erzählt von Überwachung. Von unserer Mitarbeiterin Anja Bochtler

Das kannte er bis zum 31. Juli 2007 nur aus dem Kino: Hämmern an der Tür, laute Rufe: "Polizei, aufmachen!" An jenem Morgen wurde der Berliner Soziologe Andrej Holm von Polizisten zu Boden gerissen, in Handschellen abgeführt und nach Karlsruhe geflogen. Drei Monate saß er in Untersuchungshaft. Der Verdacht: Er sei Mitglied der "militanten Gruppe", die damals als terroristische Vereinigung eingestuft wurde. Eine der Begründungen: Er gebrauche in seinen Aufsätzen und Büchern Begriffe, die auch in Schreiben der "militanten Gruppe" vorkamen. Das sorgte für breite Empörung.

Er ist ein bisschen prominent geworden. Das war eine bewusste Entscheidung, erzählen Andrej Holm, 38, und seine Freundin Anne Roth, die am Sonntagabend im autonomen Zentrum KTS über ihr Leben mit Überwachung berichtet haben. Denn auch wenn der Haftbefehl gegen Andrej Holm vom Bundesgerichtshof wegen mangelnden Tatverdachts nun als rechtswidrig eingestuft ist und die "militante Gruppe" nicht mehr als terroristische, sondern als kriminelle Vereinigung gilt: Die Überwachung geht weiter, für Andrej Holm, seine Freundin und die zwei kleinen Kinder. Wie ist das, nie zu wissen, wer einen beobachtet, auf dem Spielplatz, in der Straßenbahn? Sich bei jedem Satz am Telefon zu überlegen, ob er missverstanden werden könnte? Beispiel "schwarzer Beutel": Den brachte Andrej Holms Mutter ihrem Sohn, damit er seine Akten verstauen konnte. Als sie den Beutel am Telefon erwähnte, stürzte das die heimlichen Zuhörer in Hektik. Tage später platzten Polizisten in ein Familien-Kaffeetrinken und durchsuchten die Wohnung, um den Beutel zu finden, in dem sie geheime Unterlagen vermuteten.

Anne Roth verarbeitet diese Situation inzwischen in einem Blog, setzt dem Gefühl, eingeschüchtert zu werden, den Druck der Öffentlichkeit entgegen. Ein offensiver Umgang, genau wie das Auftreten Andrej Holms in Interviews oder Fernsehbeiträgen wie bei "Polylux" im Februar. Die Öffentlichkeit weit über die linke Szene hinaus wirkt: Unter anderem protestierten 43 Wissenschaftler aus dem In- und Ausland, Kollegen und Studierende an der Berliner Humboldt-Uni gegen Andrej Holms Verhaftung, die Volksbühne lud zu Lesungen und Diskussionen.

Wie wurden die Behörden aufmerksam auf Andrej Holm? Durch Worte wie Gentrifizierung (umgangssprachlich "Yuppisierung") oder Prekarisierung --- Fachbegriffe für einen Stadtsoziologen wie ihn. Die gebrauchte auch die "militante Gruppe". Als "verdächtig" galt zudem, dass er als Wissenschaftler Zugang zu Bibliotheken hatte. Und dass er sich zwei Mal mit einem Mann traf, dem später vorgeworfen wurde, er habe mit zwei anderen ein leeres Bundeswehrfahrzeug in Brand setzen wollen. "Brisant": Bei den Treffen hatte Andrej Holm kein Handy dabei, entzog sich also der Überwachung. Das kann heutzutage verdächtig machen --- wenn man, wie Andrej Holm, "irgendwie links" und politisch engagiert ist.

Tags: überwachung | gentrifizierung