Die Diktatur des Roten Antiquariats

Heute: Georg Ledebour, die USPD und die Januarkämpfe 1919

Zur 90-jährigen Wiederkehr des proletarischen Aufstandes im Januar 1919 wollen wir uns mit dem »alten sozialistischen Haudegen« Georg Ledebour beschäftigen, der als einer der Vorsitzenden des sogenannten Revolutionsausschusses der Berliner Arbeiterschaft neben Karl Liebknecht und dem Vertreter der Revolutionären Obleute, Paul Scholze, die Januarkämpfe mitinitiierte und als langjähriger Vorsitzender der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) für eine linkssozialistische Alternative zwischen SPD und KPD stand.

Sein politisches Engagement speziell in den Januarkämpfen hatte einen politischen Schauprozess zur Folge. Es gelang ihm, dass sonst so eingespielte Verhältnis Anklagebehörde-Angeklagter umzukehren und das Gericht als politische Bühne zu funktionalisieren. Mit Erfolg, wie wir zeigen werden...

Zur Person: Georg Ledebour

Der 1850 in Hannover geborene Georg Ledebour war vor seinem 1890 erfolgten Eintritt in die deutsche Sozialdemokratie vor allem journalistisch tätig. Seine Redaktionsmitgliedschaft in der Berliner »Volks-Zeitung« unter der Chefredaktion des späteren Spartakusbund-Mitbegründers Franz Mehring wurde zum Einstieg in die Sozialdemokratie.

Im Ersten Weltkrieg gehörte Ledebour zum Kreis der Revolutionären Obleute, die USPD-nahe, frei gewählte, von den Gewerkschaften unabhängige Betriebsräte waren. Während der Novemberrevolution amtierte er als Mitglied des Vollzugsrates des Arbeiter- und Soldatenrates Berlin, im Januar 1919 rief er mit zum – verkürzt gesprochen – Spartakusaufstand auf und zählte zur Leitung des revolutionären Aktionsausschusses. Nach der Niederschlagung des Aufstandes wurde er verhaftet und angeklagt. Der Schwurgerichtsprozess endete mit einem Freispruch.

In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre engagierte sich Ledebour in der KPD-nahen Weltliga gegen den Imperialismus und der Internationalen Arbeiter-Hilfe (IAH) unter Willi Münzenberg. Im Herbst 1931 schloss er sich der neu gegründeten Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) an, die ihn für die Reichspräsidentenwahl 1932 erfolglos als Einheitskandidaten aller Arbeiterparteien ins Gespräch zu bringen versuchte.

1933 floh er vor den Nazis in die Schweiz, wo er sich vor allem publizistisch betätigte. Von dort sprach er sich noch 1946 für den Zusammenschluss von SPD und KPD zur SED aus. Kurz danach starb er hochbetagt nach langem Sanatoriumsaufenthalt.

Die USPD – ein Geschichtsüberblick

Hintergrund für die Gründung der USPD war der Sozialchauvinismus und die Burgfriedensmentalität der Mehrheit der SPD-Fraktion im Reichstag zu Beginn und während des Ersten Weltkrieges. Hier tritt ganz wesentlich die Person Karl Liebknecht ins Rampenlicht: Am 4. August 1914 stimmte die SPD-Fraktion geschlossen für die Kriegskredite, die dem Kaiserreich die totale Mobilmachung ermöglichten. Liebknecht blieb der Abstimmung fern, um nicht gegen die eigene Partei stimmen zu müssen. Am 2. Dezember 1914 votierte er als zunächst einziger Abgeordneter gegen die erste Verlängerung der Kriegskredite. Am 20. März 1915 schloss sich ihm der spätere Rätekommunist Otto Rühle an.

Nachdem im Dezember 1915 insgesamt 20 SPD-Abgeordnete eine erneute Verlängerung der Kredite nicht mehr mittrugen, entschied die SPD-Führung um Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann ihren Ausschluss aus Fraktion und Partei. Daraufhin schlossen diese sich zur Fraktion der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft zusammen und organisierten im April 1917 in Gotha den Gründungskongress der USPD, die fortan als eigenständige Partei neben der SPD existieren sollte.

Mit der Gründung der KPD (Spartakusbund) zur Jahreswende 1918/1919 formierte sich eine dritte proletarische Kraft. Die USPD geriet somit zwischen die SPD und KPD. Auf dem USPD-Parteitag im Oktober 1920 kam es zur Spaltung. Die USPD-Mehrheit verschmolz mit der KPD zur VKPD. Ledebour verweigerte sich dieser Vereinigung, da er sich nicht unter das »Moskauer Diktat« der III. Internationale stellen wollte. Die USPD-Minderheit versuchte, weiterhin als linkssozialistische Gruppierung zwischen SPD und VKPD Bestand zu haben. Diese Selbstständigkeit erwies sich aber als wenig zukunftsreich. Mitgliederschwund und Stimmenrückgänge bei Wahlen schmälerten den Einfluss der USPD erheblich.

Im Herbst des Jahres 1922 schloss sich die Rest-USPD der SPD zur zwischenzeitlichen MSPD an. Nur ein organisatorischer Splitter um Georg Ledebour und den Bruder von Karl Liebknecht, Theodor Liebknecht, agierte weiterhin bis zur völligen Bedeutungslosigkeit unter dem Kürzel USPD. 1924 schied Ledebour im Streit mit Theodor Liebknecht u.a. aufgrund der Einschätzung der französischen Ruhrbesetzung von 1923 aus der Rest-Rest-USPD aus und gründete den Sozialistischen Bund. Beide Gruppierungen gingen in der 1931 konstituierten SAPD auf.

Die Januarkämpfe 1919 und der Prozess gegen Ledebour

Als Spartakusaufstand oder Januaraufstand bezeichnet man den Generalstreik und die bewaffneten Kämpfe in Berlin vom 5. bis 12. Januar 1919, deren Niederschlagung die Novemberrevolution praktisch beendete.

Äußerer Auslöser des Aufstands war die Absetzung des Berliner Polizeipräsidenten Emil Eichhorn (USPD) durch den Rat der Volksbeauftragten unter Führung Friedrich Eberts. Dieser provisorischen Reichsregierung gehörten nach Ausstieg der drei USPD-Mitglieder am 29. Dezember 1918 nur noch drei SPD-Politiker an, sodass die USPD dem Rat eine bindende Entscheidungskompetenz absprach. Eichhorn weigerte sich, im Dezember 1918 gegen die im Berliner Schloss einquartierte Volksmarinedivision vorzugehen. Diese Einheit rebellierte aufgrund ausstehender Soldzahlungen und setzte den sozialdemokratischen Stadtkommandanten Otto Wels fest.

Die eigentliche Ursache des Januaraufstandes war die Auseinanderentwicklung der an der Novemberrevolution beteiligten Parteien: Während die SPD und auch ein Großteil der Arbeiter- und Soldatenräte die rasche Durchführung freier Wahlen für eine Nationalversammlung anstrebten, um eine parlamentarische Demokratie zu installieren, strebten Teile der USPD spätere Wahlen an, um die Beschlusslage des Reichsrätekongresses zur Sozialisierung einiger Industriezweige und die Kontrolle des Militärs vorher umsetzen zu können. Die KPD ihrerseits setzte auf die Machtübernahme der Arbeiter- und Soldatenräte, um die Diktatur des Proletariats etablieren und den Weg zu einem sozialistischen Gesellschaftsmodell eröffnen zu können.

Die Revolutionären Obleute besetzten am 5. Januar als Reaktion auf die Eichhorn-Absetzung die »Vorwärts«-Redaktion. USPD und KPD beschlossen, die begonnene Besetzung zu unterstützen. Für den 7. Januar wurde zu einem Generalstreik aufgerufen. In den folgenden zwei Tagen konnte sich die Streikleitung, der etwa 50-köpfige Revolutionsausschuss, jedoch nicht auf das weitere Vorgehen einigen. Einige Vertreter forderten den bewaffneten Aufstand, andere plädierten für Verhandlungen mit Ebert. Karl Liebknecht setzte auf den bewaffneten Umsturz, da er fürchtete, die KPD würde infolge einer zögerlichen Haltung den proletarischen Elan erlahmen lassen.

Ab dem 6. Januar kam es auf Vermittlung der USPD-Leitung zu Verhandlungen des Revolutionsausschusses unter Ledebour & Co. mit Ebert. Am 7. Januar scheiterten die Verhandlungen abrupt. Die Ebert-Regierung forderte die Bevölkerung am 8. Januar zum Widerstand gegen die Aufständischen auf und übergab Gustav Noske den Oberbefehl über die Truppen in Berlin. Auch rief sie zur Aufstellung von Freikorps auf. Die Kämpfe eskalierten am 11. Januar mit Noskes Einsatzbefehl gegen die Besetzer des »Vorwärts«. Mit sozialdemokratischer Rückendeckung ermordete die Reaktion am 15. Januar Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.

Im Zuge der einsetzenden Verfolgungswelle gegen TeilnehmerInnen des Januaraufstandes wurde Georg Ledebour am 11. Januar verhaftet und in U-Haft gesteckt. Aufgrund seiner Funktion als einer der drei Vorsitzenden des Revolutionsausschusses galt er als einer der prominentesten Gefangenen.

Die Verhandlung im Ledebour-Prozess vor dem Berliner Schwurgericht begann im Mai 1919 und beinhaltete u.a. die Anklagepunkte der Bildung eines bewaffneten Haufens, der Rädelsführerschaft an Zusammenrottungen und die Anwendung von Sprengstoffen. In seiner Eingangsrede nahm Ledebour zu den Vorwürfen Stellung und rechtfertigte sein politisches Motiv: »Ich übernehme die volle Verantwortung für die revolutionäre Aktion der Arbeiterschaft gegen die Regierung Ebert-Scheidemann, weil ich es im Arbeiterinteresse und im Interesse des ganzen Volkes für notwendig hielt, dass diese verbrecherische Regierung so schleunig wie möglich beseitigt würde.« Gleichwohl lehnte er es ab, für »allerhand Einzelgeschichten« vor allem militärischer Art verantwortlich gemacht zu werden.

Am 23. Verhandlungstag im Juni 1919 erfolgte der Urteilsspruch. Zuvor nutzte Ledebour noch einmal die Gelegenheit mit einer Rede seinem revolutionären Pathos freien Lauf zu lassen: »Marx war schon in seiner Jugend davon abgekommen, dass man die ›Oberen‹ durch gütliches Zureden bewegen könnte. Wir stehen vollständig auf dem Boden von Marx, dass nur die Arbeiter zur Durchführung sozialer Neuschöpfungen zu bewegen sind.« Nach einer knappen Stunde Beratung erging folgendes Urteil: »Durch den Spruch der Geschworenen ist festgestellt, dass der Angeklagte der ihm zur Last gelegten Straftaten nicht schuldig ist. Der Angeklagte war deshalb von der Anklage freizusprechen.«

Tags: geschichte