Die Quaternität des Absurden. Oder: Was in Deutschland brennt, kann in Afghanistan keinen Schaden mehr anrichten

Die zweite Ausgabe von »Das Ende einer Dienstfahrt« erscheint anlässlich der laufenden Hauptverhandlung gegen die drei Antimilitaristen Axel, Florian und Oliver. Angeklagt wurden die Drei wegen »Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung«, namentlich der »militanten gruppe« (mg), nach Paragraf §129 StGB und versuchter Brandstiftung an Bundeswehrfahrzeugen.


Die gesamte Zeitung vom Januar 2009 als pdf-Datei (1630kb).

Bisher hält sich das Amüsement in der Verhandlung im Gegensatz zur Lektüre von Bölls Erzählung »Ende einer Dienstfahrt« in Grenzen. Es drängt sich der Verdacht auf, die fünf RichterInnen der zuständigen Kammer hätten bereits die Schuld der Angeklagten besiegelt. Sie bemühen sich um pünktliches Erscheinen, den korrekten und störungsfreien Ablauf der Verhandlung sowie die Wahrung ihrer vermeintlich bedrohten Sicherheit. Eine faire Verhandlung nach rechtsstaatlichen Prinzipien scheint ihnen hingegen keinerlei Mühe wert zu sein.

Ein Kammerspiel soll aufgeführt werden, mit festgelegten Rollen und zu Konditionen der Regisseure. Nur die Anträge der RechtsanwältInnen, die Stellungnahmen und die Aktionen außerhalb des Gerichtsaals stören das Kammerspiel. »Schließlich«, so Bölls Angeklagter Gruhl, »bestehe Kunst darin, das Nichts als seine verschiedenen Nichtigkeiten zu ordnen.« Die Verhandlung als Inszenierung des Nichts, weil nicht der Krieg und andere Verbrechen des Staates thematisiert werden, sondern die Notizbücher, Kalender, schwarze Pudelmützen und vermeintlichen Ungebührlichkeiten von Axel, Oliver und Florian?

Wie ist es nun zu der Dienstfahrt, deren Ende hier ja verhandelt wird, gekommen? Die Angeklagten in Bölls Erzählung befanden sich »im natürlichen Zustand der Notwehr«. Böll lässt den Gefreiten Kuttke als Zeugen der Verteidigung auftreten. Er beschreibt das Leben bei der Bundeswehr als »Quaternität des Absurden« aus Sinnlosigkeit, Unproduktivität, Langeweile und Faulheit. Deutschland führte damals noch keine Angriffskriege. Heute hat sich der Zustand der Langeweile des militärischen Alltags durch die Kriegseinsätze im Ausland unter dem Deckmantel humanitärer Legitimation und dem »war on terror« verändert. In Camps in Afghanistan tauschen zwar deutsche Soldaten Dosenbier mit US-GI’s, um der alltäglichen »Quaternität« des Camplebens zu entkommen, gleichzeitig werden jedoch ZivilistInnen bei ISAF-Einsätzen getötet und es wird gekämpft.

Nichts plus Nichts ergibt immer Nichts

Krieg – das sind nicht nur Kampfhandlungen, Krieg findet in einem Zeitkontinuum statt – dem Kriegszustand. Es reicht daher nicht, in einem kriegsführenden Land wie Deutschland zu analysieren, warum in welchem Land Bomben fallen und welche Paramilitärs soziale Strukturen niedermetzeln, wer die größten Kriegsgeschäfte tätigt und welche Militärhaushalte ausgebaut werden. Denn der Frieden hier ist Teil des Kriegszustandes – und eben nicht seine Auflösung. Krieg beginnt nicht mit dem Griff zu den Waffen. Er wird in der Normalität bereitet – in strukturellen und globalen Polarisierungen, Ungleichheiten und Ausschlüssen, in medialen und politischen Diskursen, in den persönlichen Denkweisen, die die eigene Normalität als einzige und einzig richtige Wirklichkeit sehen.

Der Gefreite Kuttke bezeichnet sich wie auch den Staatsanwalt und das System, für welches er steht, als »permanent nervenkrank«. Der Angeklagte Gruhl sei dagegen nicht nervenkrank, was ihn besonders »leidend« am Zustand der Armee und der sogenannten Normalität gemacht habe. Gruhl, unter dem Militärischen leidend, da »Nichts plus Nichts ja immer Nichts ergibt«, brennt gemeinsam mit seinem Vater ein Bundeswehrfahrzeug ab. Das Rot und Schwarz eines Feuers einmal im Jahr belebt die grandiose Eintönigkeit des Städtchen Birglar ein wenig, in dem die Geschichte spielt, und bietet eine, wenn auch recht kurzweilige Lösung des gesellschaftlichen Zustands durch mutmaßliche Kunst an, die sich als Anti-Kunst versteht und ein Versuch ist, Heil bringende Unordnung zu schaffen.

Nicht Ge-, sondern Entstaltung, ja Entstellung – wirkt in diesem Happening. Die Ausübenden geben eine Richtung vor. Aus der Entstellung soll wieder neue Gestaltung hervorgehen, so Böll. So stilisiert er den Vorgang, der hier zur Verhandlung steht, »ohne den geringsten Zweifel« als ein Kunstwerk und »heftige Leidenschaft«, als eine außerordentliche Tat, die mehrere Dimensionen, Wirklichkeitskonstruktionen und Möglichkeiten einblendet.

Das Happening, als welches uns die Tat der Angeklagten Gruhl am Ende der Böllschen Geschichte nahe gebracht wird, kann viele Namen haben: Militanz, emanzipatorische Aktion, Sabotage, materieller Eingriff, Initiative, Gegengewalt. Das Entscheidende: Es stört den Herrschaftsdiskurs über Krieg und Militär und entlarvt das Militär als strukturelle alltägliche Gewalt.

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