Bericht vom 63. Prozesstag (16.10.2009)

Um 12 Uhr sollte im Berliner Kammergericht Saal 700 das Urteil über die drei Angeklagten gesprochen werden. Bereits um 11 Uhr begann vor dem Gericht eine lautstarke Kundgebung an der sich zahlreiche Solidarische beteiligten. Bei der Kundgebung wurden zwei Leute vorläufig festgenommen, da sie Transparente trugen, die laut den zahlreich anwesenden Beamten, zu Straftaten aufrufen sollten.
Die Sitzung, die eigentlich für 12 Uhr angesetzt war, wurde vom Vorsitzenden erst gegen 13.10 Uhr eröffnet. Erst zu diesem Zeitpunkt war die Öffentlichkeit vollständig hergestellt. Die BeamtInnen in der Eingangsschleuse durchsuchten jede einzelne BesucherIn so gründlich, wie nie zuvor. Eine Besucherin sollte sich sogar hinter einem Vorhang vor einer Beamtin entkleiden, nachdem sie sich geweigert hatte die letzte Schicht ihrer Bekleidung zu öffnen. Es dauerte insgesamt fast zwei Stunden bis alle BesucherInnen eingelassen waren.

Das Urteil
Im Gerichtssaal waren ca. 50 ZuhörerInnen. Von draußen war während der gesamten Urteilsverkündung der Lautsprecherwagen mit der Kundgebung zu hören. Nachdem die ZuhörerInnen den Saal betreten hatten und die Lautsprecheranlage im Gerichtssaal angeschaltet war, eröffnete der Vorsitzende Richter Hoch die Sitzung und verkündete sofort das Urteil: Die drei Angeklagten wurden wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Gruppe in Tateinheit mit versuchter Brandstiftung und versuchter Sachbeschädigung für schuldig befunden. Er verurteilte zwei der Angeklagten zu 3 Jahren und 6 Monaten Haft. Zudem bleibt das bei der Verhaftung sichergestellte Fahrzeug eines der Angeklagten eingezogen. Den dritten Angeklagten verurteilte der Senat zu 3 Jahren Haft.(Anmerkung der SchreiberInnen: Richter versprach sich in diesem Moment und sagte zuerst 3 Monate!) Mit der Höhe der Haftstrafe folgte der Senat dem Plädoyer der Bundesanwaltschaft (BAW). Der Haftbefehl und die Haftverschonungsbeschlüsse gegen die Angeklagten bleiben weiterhin bestehen. Ab dem 19.10.2009 müssen sich die Verurteilten wöchentlich bei der Polizei melden.

Die Begründung
Richter Hoch begründete das Urteil folgendermaßen: Im Wesentlichen bestätige der Senat die Anklageschrift mit seinem Urteil. Richter Hoch benannte die Mitglieder der mg als langjährig erfahren im linksradikalen Milieu. 2001 schlossen sie mehrere Personen zur mg zusammen. Die mg operiere klandestin mit ihren Aktionen und habe eine antiimperialistische Haltung an den Tag gelegt. Die mg wolle die herrschenden Verhältnisse umstürzen und eine kommunistische Gesellschaft herstellen. Die mg bezeichne sich selber als den aktionistischen Arm einer radikalen Linken und beging gemeingefährliche Brandanschläge gegen staatliche Einrichtungen und hochrangige Wirtschaftsgüter. Sie wolle mit ihren Aktionen Verunsicherung schaffen und ein politisches und gesellschaftliches Klima schaffen, um die bestehende Gesellschaftsordnung zu stürzen. Laut Hoch, zog die mg auch terroristische Aktionen in Betracht und stehe beispielsweise zu einer bewaffneten und militanten Praxis. Die mg erwog auch die Exekution von Entscheidungsträgern als praktisches Mittel. Hoch betonte diesen Aspekt. Denn er stehe einer tendenziösen Berichterstattung im Verlauf der Hauptverhandlung gegenüber, die den Eindruck erwecken solle, hier würden Antimilitaristen und Kriegsgegner vor Gericht stehen.
Weiterhin sagte Hoch, die mg habe bis 31.07.2007 insgesamt 25 Brandanschläge verübt mit einem Sachschaden von 840 000 €. Sie sei damit die gefährlichste und aktivste linksextremistische Gruppe. Glücklicherweise seien bei den Anschlägen keine Menschen verletzt worden. Nur durch Zufall sei bei einem "nächtlichen" Anschlag auf einen Lidl-Rohbau in Berlin Steglitz (10.01.2005) ein anwesender Bauarbeiter nicht verletzt worden.
Aus diesem Grund griff das BKA, zeitnah nach diesem Anschlag, zu ungewöhnlichen Ermittlungsmethoden (Anmerkung: unter anderem durch selbst verfasste Textbeiträge zur so genannten Militanzdebatte interim Nr. 611 und Nr. 639. An diesen Methoden sei angesichts der gemeingefährlichen Taten nichts zu beanstanden, so Richter Hoch. Das dies nicht in den Gerichtsakten vorlag, führte zwar zu Irritationen bei der Verteidigung, sei aber wie gesagt, nicht zu beanstanden.
Auch bei einem Anschlag auf eine Polizeipräsidium in Berlin Tempelhof (Seiteneingang am 09.04.2006) waren Mitarbeiter im Haus, so Hoch. Dies habe mit einem Widerstandsrecht nichts mehr zu tun. Der Anschlag hätte nichts mit Krieg und Antimilitarismus zu tun gehabt und zeige vielmehr den kriminellen Charakter der mg.
Weiter ging es Hoch um den Brandsatztyp Nobelkarrosentod (radikal Nr. 158), den die mg häufig benutzte.
Hoch betonte, die Beteiligung der Angeklagten an den 25 Anschlägen sei zwar nicht konkret nachweisbar, aber sie hätten sich in Kenntnis dieser Taten der mg angeschlossen.

Ein Angeklagter sei bereits seit 2005 Mitglied der mg. Die anderen beiden Angeklagten seien seit spätestens 2006 Mitglieder der mg. Nach wie vor stünden die Angeklagten hinter der Politik der mg.

Um den Kampf weiter voranzutreiben und um Solidarität zu erhalten, so sei der Anschlag am 31.07.07 in Brandenburg/Havel zu bewerten. Die Tat war präzise geplant. Es seien jedoch Fehler unterlaufen. Hoch beschrieb nochmals die angeblichen Geschehnisse am Abend des 31.07.2007: Die Fahrt der drei Angeklagten nach Brandenburg, den mutmaßlichen Einstieg auf das Gelände der MAN AG, die gefundenen Brandsätze der Marke Nobelkarossentod (NKT) und die Rückfahrt und Festnahme der drei Angeklagten. Teilweise wurden die Angeklagten an diesem Abend unter anderem von Beamten des LKA (PK Schoetzau und KHK Gerhardt) observiert. Hoch betonte, dass nur durch das beherzte Eingreifen des Beamten Schoetzau, die Brandsätze unter den Fahrzeugen entfernt werden konnten.
Die Verhaftung verlief, laut Hoch, ordnungsgemäß. Es konnte kein Fehlverhalten und keine übermäßige Gewaltanwendung durch die Beamten festgestellt werden. Für einen der Angeklagten sei die Verhaftung jedoch eine schlimme Belastung gewesen. Seit der U-Haftverschonung seien die Angeklagten auf freiem Fuß.

Erst gegen Ende des Prozesses gab es in der radikal 161 ein neues Lebenszeichen der mg, dass dem fadenscheinigen Zweck der Ablehnung diente, so Richter Hoch.

In Brandenburg/Havel seien DNA-Spuren von einem Angeklagten an Flaschenhälsen sichergestellt worden. Zudem seien Benzinspuren an Rucksäcken gefunden worden und es gab die Informationen aus der Telefonüberwachung.
Hoch verweist auf die am ersten Prozesstag verlesene Erklärung der drei Angeklagten. Darin heißt es:„ Sabotage sei ein emanzipatorischer Versuch gegen einen Staat der Krieg führt, tötet und foltert, vorzugehen, also um Schlimmeres zu verhindern.
Hoch betont in seiner Begründung, Zweifel an den polizeitaktischen Maßnahmen wie der Rechtmäßigkeit der Observation am 31.07.2007 habe der Senat nie gehabt. Auch die Beschränkung der Aussagegenehmigung der Beamten, die als Zeugen geladen waren, sei klar gewesen, um die Arbeit der Beamten nicht zu gefährden. Es wundere Hoch jedoch, dass viele der Beweise in der Hauptverhandlung von der Verteidigung angezweifelt wurden.

Erstmals trat die mg als Gruppenzusammenhang, laut Hoch, unter diesem Namen am 14.Juni 2001 in Erscheinung (Verschickung von Schreiben mit dem Titel: "Auch Kugeln markieren einen Schlussstrich...").
Seitdem ließ sie nie Zweifel an ihrer Existenz und an der Richtigkeit ihrer Schreiben. Die Ursprungsmitglieder hätten auf jeden Fall Erfahrung mit Anschlägen. Dies zeige sich in dem Text „Debattenversuch“ (23.11.2001). Die mg habe sich immer deutlich von anderen Gruppen und Gruppennamen distanziert. Dies zeige sich an der folgenden Anschlagsserie von Juni 2001 bis Juli 2007.
Am 22 Juni 2001 habe die mg den ersten Anschlag auf eine Daimler-Chrysler-Niederlassung in Berlin-Tempelhof verübt. Es folgte ein Selbstbezichtigungsschreiben (SBS) an verschiedene Tageszeitung und an die Redaktion der interim. Hoch verließt Auszüge aus dem SBS und aus Texten der mg.
Insgesamt würden 25 SBS und 34 Textbeiträge der mg existieren. Die Existenz der Gruppe und ihre Zielrichtung ist zweifelsfrei, so Hoch. Die Inhalte der Texte würden es erlauben, die Gruppe als kriminelle Vereinigung einzustufen. Die SBS wären eine Willensbekundung. Es gebe keine Anhaltspunkte für Einzeltäter bzw. für eine Verbindung aus nur zwei Personen. Zudem grenzte sich die mg immer deutlich von anderen Gruppierungen ab und verantwortete sich mit ihren Anschlägen durch SBS. Die Willensbildung erfolgte innerhalb der Gruppe durch eine kollektive Abstimmung und sei ein zentraler Punkt der Beweiserhebung. Hierzu verliest Hoch nochmals einen Teil der Anfangserklärung der drei Angeklagten. Die Nähe zum Gedankengut zur mg sei hier klar zu sehen, so Hoch. Es gebe in der Gesamtschau keinen Zweifel, dass die drei Angeklagten Mitglieder der mg seien.

Die mg-Mitgliedschaft der drei Angeklagten
Bei einem der Angeklagten sei ein Fragment des sogenannten „Minihandbuches“ im Entwurfsstadium von 2005 gefunden worden. Bereits 2005 habe die mg eine Auflistung ihrer Aktionen angekündigt. In diesem Asservat seien die verschiedenen Anschläge akribisch aufgelistet und diese Liste endet 2005. Für die Anschläge ab 2006 wurde diese Liste nicht fortgeführt. Die mg habe jedoch nie halbfertige Texte veröffentlicht, so Hoch. Ob es sich bei dem sichergestellten Asservat um eine Kopie handelt, spielte für Hoch keine Rolle. Denn die mg habe nie halbfertige Texte aus dem "inneren Kreis" herausgegeben. Auch das in der radikal 161 erschienene Interview mit der mg in dem diese sagt, dass sie mit dem Minihandbuch nichts zu tun habe, spiele keine Rolle. Denn bereits 2005 sei das Erscheinen des Minihandbuchs angekündigt worden.

Bei einem anderen Angeklagten spreche für dessen Mitgliedschaft, dass ein halber Fingerabdruck auf Sekundärliteratur, wahrscheinlich für das Minihandbuch, gefunden wurde. Zum zweiten gebe es Teile von DNA auf einem Asservat, die von dem Angeklagten sein könnten. Die Spur reichte doch nicht aus für sichere Schlussfolgerungen. Weiterhin seien Utensilien für Brandsätze in der Wohnung dieses Angeklagten gefunden worden (wir SchreiberInnen erinnern uns: Haushaltshandschuhe, Toppits-Gefrierbeutel...) und eine CD mit dem Titel "der kleine Sprengmeister".

Bei dem dritten Angeklagten ergebe sich die Mitgliedschaft seit 2005 daraus, dass vermeintliche Ausspähfotos von einem Autohaus in Petershagen auf seinem PC gefunden wurden. Für die eigentümlich gewählte Perspektive der Fotos gebe es keine neutrale Erklärung, so Hoch. Zudem ergeben sich aus den Kalendereinträgen: "Auto" Zusammenhänge zu Brandanschlägen. Der Angeklagte habe einem anderen Angeklagten sein Auto geliehen. Dieser wurde eine Woche vor einem Anschlag in 2 km Entfernung des Tatorts bei einer Polizeikontrolle registriert. Ein weiteres Beweis für dessen Mitgliedschaft sei, dass der Angeklagte klandestin einen bestimmten E-Mail-account genutzt habe. Außerdem nutzte er gemeinsam mit einem anderen Angeklagten einen USB-Stick. Für den Senat sei er damit nicht nur Unterstützer, sondern er nahm aktiv an der Kommunikation der mg teil.

Die Aussagen des Spitzels vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) habe für den Senat kein großes Gewicht gehabt. Das Behördenzeugnis war für den Senat nicht nachprüfbar und die Quelle hatte ihre Informationen nur vom "Hören-Sagen". Für das Urteil gehe die Bedeutung der Quelle vom BfV gegen Null, so Hoch.

Nach der Festnahme sei die mg in eine Schockstarre verfallen, wie auch schon die BAW in ihrem Plädoyer angemerkt habe, so Hoch. Es folgten keine Publikationen mehr, was auf einen großen Schlag schließen ließe. Ziel der Publikation in diesem Jahr in der radikal 161 sei gewesen, den Prozess positiv zu beeinflussen. Hoch merkte an, für ihn sei das Interview in der radikal keine Auflösungserklärung gewesen, sondern vielmehr eine Transformationserklärung.
Für die Verschwörungstheorie, das Verfahren sei vom BfV gesteuert, sei kein Raum , so Richter Hoch.
Abschließend erklärte Hoch, die zwei Hilfebeweisanträge vom 14.09.2009 seien abzulehnen. Es sei nicht ersichtlich, das Verfahrensfehler vorlagen. Er betonte, die Hausdurchsuchung bei einem der Angeklagten wäre rechtmäßig verlaufen. Die Behörden hätten versucht den Ermittlungsrichter telefonisch zu erreichen. Es wäre Gefahr im Verzug gewesen, weswegen die Durchsuchung zügig hätte stattfinden müssen. Einer Verwertung der Beweismittel stehe demnach nichts im Wege. Ein Verfahrensfehler sei auszuschließen.
Der zweite Hilfsbeweisantrag sei auch abzulehnen, da kein neues daktyloskopisches Gutachten notwendig wäre. Es wäre bereits ein Gutachter vernommen worden und ein weiteres Gutachten würde keine neuen Informationen bringen.

Weiter führte Hoch aus, es habe einen gemeinsamen Tatplan gegeben und es wurde unmittelbar dazu angesetzt. Auch wenn einer der Angeklagten bei der Tat in Brandenburg/Havel nur eine untergeordnte Rolle gespielt habe, sei er nicht Unterstützer, sondern Mittäter. Alle drei Angeklagten hätten sich aktiv für die Tat eingesetzt und handelten als Mittäter (§ 25 II StGB).
Der Senat, die BAW und der Ermittlungsrichter seien sich einig, dass obwohl Nähe zum terroristischen Gedankengut (§129a StGB) vorhanden sei, die mg aber als eine kriminelle Vereinigung zu sehen sei. Es gebe keinen Hinweis auf eine besonders schwere Straftat, die dazu geeignet war den Staat empfindlich zu schaden bzw. sei die Sicherheit der BRD nie gefährdet gewesen. Auch der § 109e StGB (Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln) sei nicht gegeben, da die Schlagkraft der Truppen der Bundeswehr nie gefährdet war. Im Gegenzug dazu, treffe auch das Recht auf Widerstand in diesem Falle nicht zu, wie Hoch vorher schon ausführte.

Richter Hoch gab an, die Strafzumessung beim §306 StGB(Brandstiftung) liege zwischen 1 und 10 Jahren. Strafmildernd sei, dass die Tat im Versuch stecken geblieben und kein Schaden entstanden sei, obwohl der Beamte Schoetzau gefährdet war, der heldengleich die Brandsätze unter den Fahrzeugen entfernte. Der Handlungsunwert der Tat habe gezeigt, dass der Erfolgsunwert nicht gemindert sei. Somit liege kein minder schwerer Fall von § 306 (Brandstiftung) vor. Der Erfolg der Tat blieb aus.
§ 123 StGB (Hausfriedensbruch) lag ebenso vor, dieser wurde aber vom Geschädigten nicht zum Strafantrag gebracht.
Als strafmildernd sehe der Senat auch, dass keine Personen bei dem Brandanschlag gefährdet werden sollten. Dies ergebe sich aus dem abgeschiedenen Ort.
Zudem seien die Angeklagten politisch und sozial engagiert gewesen und hätten sich für gesellschaftliche Veränderungen eingesetzt und nicht für ihre eigenen Vorteile. Mildernd sei auch, dass alle drei Angeklagten bisher nicht vorbestraft seien und nach der Festnahme im Juli 2007 ihre Arbeitsplätze verloren hätten.
Strafschärfend sei ihre langjährige Mitgliedschaft in der gefährlichen Gruppe. Die mg habe bewusst die strafrechtlichen Normen verletzt. Ein Blick in die Presse genüge dazu, um zu sehen, dass das Nachahmen Früchte getragen habe und das Abfackeln von Autos inzwischen leider an der Tagesordnung sei.
Strafmildernd seien auch die gesundheitlichen Probleme eines der Angeklagten, der zu 3 Jahren verurteilt wurde.
Die Angeklagten haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Innerhalb einer Woche kann Revision gegen das Urteil beantragt werden. Die schriftliche Begründung dafür muss dann innerhalb eines Monats eingehen.

Bei einem Verstoß gegen die Meldeauflagen folge die Inhaftierung, erklärte Hoch abschließend.

Um 14:00 Uhr schloss der Vorsitzende die Verhandlung.

Hier ist das schriftliche Urteil einzusehen: https://einstellung.so36.net/de/urteil

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