(G) Beweisantrag: Wenn Deutschland sich an völkerrechtswidrigen Handlungen beteiligt, ist Widerstand dagegen legitim

In der Strafsache gegen Axel H. u.a. wird beantragt,

1. Herrn Stanley McCrystal, Oberbefehlshaber der ISAF in Afghanistan,
zu laden über das United States Department of Defense, 1400 Defense Pentagon, Washington DC 20301-1400,

2. Herrn Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister für Verteidigung,

3. Oberst Georg Klein, Kommandeur der deutschen Truppen in Kunduz,

4. Hauptfeldwebel Christiane Ernst-Zettl,
Zu 2. - 4. zu laden über das Bundesministerium für Verteidigung, Stauffenbergstr. 18, 10785 Berlin,

5. Herrn Bernhard Gertz, früherer Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes e.V.,
Südstraße 123, 53175 Bonn,

6. Herrn Willy Wimmer, Mitglied des Deutschen Bundestages,
Platz der Republik 1, 11011 Berlin

als Zeugen zu laden und zu hören.

Die Zeugen werden folgendes bestätigen :

Deutschland hat seine Beteiligung am Krieg in Afghanistan, der immer stärker eskaliert, seit 2001 ständig ausgeweitet. Der Krieg dient inzwischen ausschließlich der Aufstandsbekämpfung, es geht dabei keineswegs um Wiederaufbau und Demokratisierung, wie es der Öffentlichkeit vor allem am Anfang des Krieges suggeriert wurde. Im Gegenteil werden zivile humanitäre Projekte durch die Kriegführung gefährdet bis unmöglich gemacht. ZivilistInnen sind mehr denn je Opfer in diesem Krieg. In Afghanistan geht es um eine veränderte militärische Zielsetzung der NATO: Afghanistan dient als Experimentierfeld in einer Phase, in der die NATO zu einer global agierenden Besatzungstruppe umstrukturiert wird. Dabei geht es darum, den Aufstand wirksam niederzuschlagen und das Land als NATO-Kolonie effektiv zu verwalten. Afghanistan ist der Gradmesser, ob die NATO künftig in der Lage sein wird, weitere Länder ihrer Kontrolle zu unterwerfen. Einsätze der OEF und der ISAF sind seit der Ausweitung des NATO- Einsatzgebiet auf das ganze Land weitgehend verschmolzen, werden koordiniert und sind für die Eskalation der Kampfhandlungen verantwortlich. Deutschland hat sich über die Tornado-Einsätze, Quick Reaction Force und die territoriale und personelle Ausweitung des Bundeswehr-Mandates immer weiter in den Krieg hinein verstrickt und ist für seinen Verlauf in hohem Maße verantwortlich. Motiv der deutschen Regierung ist das Ziel, sich als global player und Ordnungsfaktor in der neuen Welt(un)ordnung zu positionieren, mehr Gewicht in internationalen Beziehungen geltend zu machen und einen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu erhalten. Dafür wurde auch die Bundeswehr zu einer Truppe umstrukturiert, die auf globale Interventionskriege ausgerichtet ist.

Die Bevölkerung in Deutschland wird über den tatsächlichen Kriegszustand aus politischen, ökonomischen und wahltaktischen Gründen im Unklaren gehalten. Durch Sprachregelungen wurde lange Zeit versucht zu verhindern, daß der „Einsatz“ in Afghanistan als das was er ist, deutlich zur Sprache kommt: ein Krieg mit massiven Bombardements und Kampfhandlungen, einem Besatzungsregime, vielen zivilen Toten, Zerstörung von Infrastruktur und einer massiven Verschlechterung der gesamten Lebenssituation der afghanischen Bevölkerung. Die tatsächliche aktive Kriegsführung von Deutschland und seine aktive Beteiligung an der Tötung afghanischer Zivilbevölkerung und der Zerstörung von Lebensgrundlagen wurde verharmlost, weil die öffentliche Meinung eindeutig gegen diesen Kriegseinsatz eingestellt ist. Es wurde so versucht, möglichen Protest und Widerstand präventiv zu verhindern.

Zivile Opfer

Intransparenz und Verschleierung der Verantwortlichkeiten

In diesem Rahmen ist Deutschland immer stärker aktiver Teil von Kampfeinsätzen, in denen Zivilisten getötet oder verletzt werden. Bei der Tötung von ZivilistInnen lautet die Konsequenz in der Regel: „wird untersucht“. Da die Kommandostrukturen von ISAF, OEF und ANSF durch – bewußte - Intransparenz die Aufklärung von solchen Menschenrechtsverbrechen erschweren, muss grundsätzlich Deutschland durch seine Beteiligung als mitverantwortlich und mitschuldig an Menschenrechtsverbrechen betrachtet werden.

Auszug aus der Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin, Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 16/10682 – Zur Menschenrechtslage und zu den zivilen Opfern in Afghanistan:

„Besonders in den betroffenen Gebieten im Süden und Osten des Landes hat die hohe Anzahl an Zivilopfern durch Luftangriffe zu Entrüstung und zu mehreren Demonstrationen gegen das Vorgehen von OEF/ISAF und afghanischen Sicherheitskräften geführt. Laut ACBAR (Agency Coordinating Body for Afghan Relief), einem Zusammenschluss von etwa 100 Hilfsorganisationen in Afghanistan, werde dieser Unmut in der Bevölkerung noch durch die meist nur schleppenden und nicht transparenten Untersuchungen der Vorfälle bestärkt (www.tagesschau.de/ausland/afghanistan456.html). Der UNAMA-Bericht äußerte sich ebenfalls kritisch zur fehlenden Transparenz von ISAF, OEF und ANSF- Kommandostrukturen. Dies erschwere die Aufklärung der Verantwortlichkeit für die Vorfälle erheblich, so der Bericht (vergleiche www2.ohchr.org/SPdocs/Afg-UNAMAstats10sept08.doc). “

Beispiele für die deutsche Beteiligung an völkerrechtswidrigen Taten:

● 1. Erschiessung eines Schäfers

20. August 2008 : „In der vergangenen Woche hatte die Bundeswehr nach eigenen Angaben erstmals einen Angreifer getötet. Einheimische Amtsträger sagten hingegen, es habe sich um einen unbeteiligten Schäfer gehandelt.“ (http://www.tagesspiegel.de/zeitung/Titelseite;art692,2603808).

„Das Verteidigungsministerium berichtete am Mittwoch in Berlin, dass eine deutsche Patrouille nahe des Bundeswehr-Feldlagers im nordafghanischen Feisabad am späten Dienstagabend angegriffen worden sei. Bei dem Schusswechsel sei ersten Berichten zufolge ein Angreifer verwundet worden, der seinen Verletzungen während des Transports durch die afghanische Polizei ins Feldlager erlegen sei.... Dagegen sagte der Polizeichef der Provinz Badachschan, Agha Noor Keentoz, es sei ein unbewaffneter Schäfer getötet worden. Der Mann habe der Patrouille mit Handzeichen signalisiert, anzuhalten und nicht näher an seine Herde heranzufahren. Am Mittwochmorgen hätten afghanische Sicherheitskräfte die Leiche des Mannes gefunden und ins Provinzkrankenhaus gebracht. Feldjäger der Bundeswehr und Ermittler untersuchen nach Angaben des Verteidigungsministeriums nun den Vorfall in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Potsdam.” (Die Welt, 20.8.2008)

Trotz dieser Meldungen wurde der folgende Vorfall der Erschießung einer Frau und zweier Kinder an einem Checkpoint als erster durch deutsche Soldaten verursachte Tod dargestellt:

● 2. Erschiessung einer Frau und zweier Kinder an einem Checkpoint südöstlich von Kundus
29.September 2008: „An einer Straßenkontrolle der Bundeswehr und der Polizei in Afghanistan sind drei Zivilisten erschossen worden, eine Frau und zwei Kinder. Zwei weitere Kinder wurden verletzt.“ Auszug Antwort auf Kleine Anfrage: „Am 29. September 2008 ereignete sich ein tödlicher Zwischenfall unter Beteiligung der Bundeswehr. Bei einem Checkpoint in der Provinz Kunduz eröffnete Ende August ein deutscher Soldat das Feuer auf ein sich näherndes Fahrzeug, nachdem es auf Stoppsignale und Warnschüsse nicht reagiert hatte. Eine Frau und zwei Kinder wurden dabei getötet. Der Familie der Opfer wurde von der Bundesregierung eine Entschädigung gezahlt“, die vom Verteidigungsministerium jedoch nicht als Schuldeingeständnis bewertet wird (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 3.9.08). Wenn es jedoch kein Schuldeingeständnis gibt, wenn ein Bundeswehrsoldat eine Zivilistin und zwei Kinder erschießt, muss man dann folglich davon ausgehen, daß diese Toten als Kollateralschäden in Kauf genommen und eingeplant werden.

● 3. Tornado-Aufklärungsdaten für spätere Bombardierungen
Der Tornadoeinsatz im Süden Afghanistans, der 2007 beschlossen wurde, dient, wie zu befürchten war, „direkt der Unterstützung von Bombenangriffen sowohl der ISAF als auch der OEF. Da der Tornado- Einsatz 2007 in das deutsche ISAF-Mandat integriert wurde, hat sich Deutschland hierdurch zu einem integralen Bestandteil des „Krieges gegen den Terror“ gemacht“ (IMI-Studie „Lackmustest Afghanistan. Der Hindukusch als Experimentierfeld für Zivil-militärische Aufstandsbekämpfung und Neoliberalen Kolonialismus , von Jürgen Wagner “ 11/2008, S.13, http://www.imi-online.de/download/IMI-Studie-2008-11.pdf).
„Mindestens genauso problematisch ist aber die Tatsache, daß mithilfe der Tornado-Aufklärungsdaten Bombardierungen durchgeführt werden, bei denen massenweise Zivilisten ums Leben kommen. Mit der Entsendung der Tornados macht sich Deutschland somit unweigerlich zum Mittäter, wie Walter Jertz, bis vor kurzem Chef des Luftführungskommandos, bestätigt: „Es muss der Bevölkerung deutlich gemacht werden, dass zwar die Aufklärungstornados nicht unmittelbar in Kampfhandlungen verwickelt werden, aber das Liefern von Fotos der Aufklärungstornados kann im Süden von Afghanistan dazu führen, dass Kampfhandlungen durchgeführt werden. Und das kann auch bedeuteten, dass Zivilisten zu Schaden kommen und dieses wollen wir natürlich letztlich auch offen aussprechen, dieses müssen wir auch offen aussprechen.“ (IMI-Studie Lackmustest, dort Fußnote 79 nach:Kobylinski,Alexander/Caroline, Walter:Krieg oder Frieden – Streit um den Einsatz von Tornados, Kontraste, 15.2.2007).

„Wie bereits erwähnt, ist zwar auch die ISAF selbst massiv an der Tötung von Zivilisten beteiligt, die USA gehen im Rahmen von OEF aber noch rücksichtsloser vor. Hierzu bemerkte Bundeswehrverbandschef Bernhard Gertz: „Was die Verbündeten gemacht haben, ist nicht hinnehmbar. Da wurden mit Bomben aus der Luft angebliche Ziele bekämpft und in nicht tolerablem Ausmaß Unschuldige getroffen. Zur Unterstützung dieser Kampfführung sollten wir keine Aufklärungsergebnisse unserer Tornados bereitstellen.“ (IMI-Studie Lackmustest, dort Fußnote 80 nach: Bundeswehrverband stellt Bedingungen an Tornado-Einsatz, Spiegel Online, 20.01.2007).

„Die Weitergabe der Tornado-Aufklärungsdaten an OEF stellt damit nichts anderes als Beihilfe zu Kriegsverbrechen dar. Das von Deutschland unterzeichnete Statut des Internationalen Gerichtshofes (Artikel 8,2b,iv) verbietet eindeutig ein „vorsätzliches Führen eines Angriffs in der Kenntnis, dass dieser auch Verluste an Menschenleben, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder weit reichende, langfristige und schwere Schäden an der natürlichen Umwelt verursachen wird, die eindeutig in keinem Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen.“ Der frühere parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium und CDU-Bundestagsabgeordnete Willy Wimmer jedenfalls sieht diesen Tatbestand durch die Tornado-Entsendung mehr als erfüllt: „Die deutschen Piloten, die mit diesen Flugzeugen die Dörfer ausfindig machen, die anschließend von den Amerikanern zerstört werden, sind damit auf dem direkten Flug nach Den Haag. Wenn man - im Sinne der vielzitierten Kollateralschäden - Menschen aus der Luft bekämpft, fliegt jeder Pilot direkt in die Kriegsverbrechen hinein.“ (IMI-Studie Lackmustest, dort Fußnote 81 nach:Weiland, Severin:Tornados in Startposition, Spiegel Online, 27.01.2007).

● 4. Quick Reaction Force: Harekate Yolo: Deutsche üben offensive Aufstandsbekämpfung - „nicht zustimmungspflichtig"

- QRF-Einsätze fanden im Oktober und November 2007 (Militäroperationen Harekate Yolo I und II) in Westafghanistan mit u.a. deutscher Unterstützung und unter deutschem Kommando statt: „erste offensive Militäroperation unter deutschem Kommando seit dem Zweiten Weltkrieg“ mit dem Ziel der Aufstandsbekämpfung, Rückeroberung von Provinzen und Zerschlagung der Taliban, dabei „300 Mann Unterstützungskräfte der Bundeswehr (Sanitäter, Hubschrauber, Logistik, Aufklärung, CIMIC)“. Wikipedia-Eintrag zu Harekate Yolo und zitiert bei IMI, http://www.imi-online.de/2008.php3?id=1685.

- „Die Bundeswehr hat zwar zahlenmäßig [...] einen geringen Anteil – doch ihr Beitrag macht die Truppe erst einsatzbereit: Funkverbindungen, Nachschub und Sanitäter stellen die Deutschen, die gemeinsam mit den Afghanen, Norwegern und anderen Nato-Truppen in dieses Gefecht zogen.” (Focus.de, 08.11.2007, nach http://www.imi-online.de/2008.php3?id=1685).

- „In Deutschland wurde Kritik an dem Verhalten der Bundesregierung geübt. Zum einen, weil zunächst das Verteidigungsministerium nichts über die Operation verlauten ließ und nur den zuständigen Bundestagsausschuss sowie die Obleute der Bundestagsfraktionen informierte. Zum anderen, weil dieser Einsatz als „Routineeinsatz“ und somit nicht zustimmungspflichtig deklariert war, obwohl er größtenteils im Bereich des Regionalkommandos West (verwaltet von Italien) stattfand. Andererseits erlaubt das Mandat auch Operationen außerhalb des festgelegten Bereiches wenn diese zeitlich begrenzt und im größeren Zusammenhang wichtig für die ISAF-Mission sind.“(Wikipedia-Eintrag zu Harekate Yolo und zitiert bei IMI, Lackmustest, http://www.imi-online.de/2008.php3?id=1685).

- „Dieser Einsatz kann aus drei Gründen mit Fug und Recht als bahnbrechend bezeichnet werden. ... Zum Zweiten dürften derlei Kampfoperationen künftig zur Regel werden: „Harekate Yolo II markiert einen Wendepunkt in der militärischen Operationsführung der ISAF im Norden Afghanistans. Militärische Kräfte hatten sich bis dahin vorrangig auf die Durchführung von Patrouillen beschränkt. [...] Künftig wird der Fokus mehr auf gemeinsamen, gezielten Offensivoperationen mit den afghanischen Sicherheitskräften liegen.“ Damit verändert sich das Einsatzprofil der deutschen Truppen ganz erheblich: „Erstmals stehen bei einem Auftrag der Bundeswehrsoldaten offensive Kampfaktionen im Vordergrund. Ihre Mandatsvorgänger, die Norweger, empfehlen den Deutschen, sich jetzt auch aufs Töten und Sterben vorzubereiten.“ Und schließlich kam es bei Harekate Yolo zu einer engen Abstimmung militärischer und ziviler Mittel zur Aufstandsbekämpfung: „Die zentrale Lehre von Harekate Yolo II ist, dass ein abgestimmter Einsatz ziviler und militärischer Mittel von entscheidender Bedeutung für die Führung von Auslandseinsätzen ist, deren Schwerpunkt die Aufstandsbekämpfung ist.“ Auch damit erweist sich der Einsatz als trauriger Trendsetter (siehe Kapitel 6).“ (IMI-Studie Lackmustest 11/2008, S. 16)

- Die Übernahme der Quick Reaction Force durch Deutschland 2008 ist ein weiterer Meilenstein in der Verwicklung Deutschlands in den Krieg, seine zunehmende Verantwortung in dem und für den eskalierenden Krieg.

● 5. Einsatz von Awacs-Aufklärungsflugzeugen

„Darüber hinaus hat der Nato-Oberbefehlshaber für Europa und Afghanistan, US-General John Craddock, auf Bitte der ISAF den Einsatz von AWACS-Flugzeugen der NATO beantragt. Dies ist insofern brisant, da bislang die Radaraufklärung von amerikanischen AWACS-Maschinen im Rahmen von OEF geleistet wird. Hiermit würden beide Einsätze nochmals weiter verschmelzen. Zumal die AWACS-Aufklärung ganz Afghanistan erfassen würde und nicht auf die Nord- und Westregion begrenzt wäre. ( Streit über Awacs-Einsatz in Afghanistan,:Die Welt, 30.7.2008). Da Deutschland 27 Prozent der Finanzierung und 40 Prozent des AWACS-Personals stellt, muss die Bundesregierung dem Einsatz zustimmen. Diese Flugzeuge sind jedoch klare Kampfmittel, sie können „zur Luftaufklärung wie zur operativen Führung eigener Flugzeuge, ferner zur Zielerfassung auch am Boden und damit zur Leitung von Luft-Boden-Operationen eingesetzt werden.“ (Lothar Rühl, zitiert bei Henken, Lühr: Was will die NATO in Afghanistan und in Georgien?, IMI-Analye 2008/028 (in: IMI-Studie Lackmustest 11/2008, S. 16).

● 6. Völkerrechtswidriger Einsatz von Sanitätssoldaten in Kampfeinsätzen: Beispiel Christine Ernst-Zettl

Ernst-Zettel wurde nach Deutschland zurück strafversetzt, weil sie sich als Sanitäterin weigerte, Aufgaben zu übernehmen, die Tätigkeiten eines Kampfeinsatzes sind. Sie weigerte sich, Körperkontrollen bei afghanischen Frauen zu übernehmen und sie nach Sprengstoff zu durchsuchen, da sie bei einem Fund eine Waffe auf sie hätte richten müssen.

„Aufsehen erregte der Fall von Hauptfeldwebel Christiane Ernst-Zettl, die mit einer Disziplinarbuße von 800,- Euro belegt und strafweise aus Kabul in die heimatliche Kaserne zurückbeordert wurde. Ihr "Vergehen": Sie hatte sich als Nichtkombattantin "persönlich für die Einhaltung der Regeln des Humanitären Völkerrechts verantwortlich" gefühlt - wie es die Dienstvorschrift von ihr verlangt.“ (freitag 31.3.2006).

„Dass US-Soldaten in Guantanamo, in Abu Ghraib und Bagram systematisch schweren Völker- und Menschenrechtsrechtsbruch begehen, ist zweifelsfrei dokumentiert. Noch nicht herumgesprochen hat sich hingegen, dass auch die Bundeswehr bei ihrem Einsatz im Rahmen der ISAF-Mission in Afghanistan fortwährend Völkerrechtsverstöße begeht. Konkret geht es um den Kampfeinsatz deutscher Sanitätssoldaten an der Waffe, um die dortigen Feldlager der multinationalen Truppen zu sichern. Eine Praxis, wie sie durch das "Humanitäre Völkerrecht in bewaffneten Konflikten" strikt untersagt wird. Dieses "Kriegsvölkerrecht", wie es oft verkürzt genannt wird, ist in den vier Genfer Abkommen von 1949 sowie den beiden Zusatzprotokollen aus dem Jahr 1977 kodifiziert.“ (freitag 31.3.2006).

„ Es fehlt die Aufklärung in der deutschen Bevölkerung über dieses Mandat. Da herrscht ein großes Stück Unehrlichkeit. Verteidigungsminister Jung pocht immer wieder darauf, dass in Afghanistan kein Krieg herrscht. In Afghanistan herrscht aber Krieg. Unsere Politiker verlängern und erweitern ein robustes Mandat. Der Auftrag, den die Bundeswehr dort bekommen hat, ist keine humanitäre Hilfe und auch keine Entwicklungshilfe. Dieser Auftrag, für Sicherheit zu sorgen, darf mit militärischer Gewalt erzwungen werden. Und das ist ein Kampfeinsatz. Die deutschen Soldaten sind genauso wie alle anderen Mitglieder der ISAF-Truppe in diesen Krieg hineingezogen worden. Sie sind Angriffsziel geworden. Das belegen die Opferzahlen. Was auch fehlt, ist eine Exit-Strategie. Wir werden doch wohl hoffentlich nicht die nächsten 15 Jahre in Afghanistan verbringen.“ (Christiane Ernst-Zettl in Tagesschau vom 16.10.2008).

● 7. Zivile Tote durch Luftangriffe
22. August 2008 Azizabad: Hochzeitsgesellschaft wird bombardiert, 91 Tote

Pressemitteilung des Bundessausschusses Friedensratschlag 25.08.2008:„Am Freitag (22. August) waren in der westafghanischen Provinz Herat mehr als 90 Zivilpersonen bei einem US-geführten Luftangriff getötet worden. Der Sprecher des "Friedensratschlags", Peter Strutynski, erklärte dazu in Kassel: 'Die "Kollateralschäden" unter der afghanischen Zivilbevölkerung nehmen immer mehr zu. Mitunter werden Hochzeitsgesellschaften und ganze Dörfer bombardiert, weil das US-Kommando in ihnen feindliche Taliban- oder Al-Kaida-Kämpfer vermutet. Die Leidtragenden sind unschuldige Menschen, Frauen und Kinder. Und die stereotype Erklärung aus Washington lautet: "Wir werden den Vorfall untersuchen". Geschehen ist bislang nichts. Daher sagen wir: Wer "Kollateralschäden" wirklich vermeiden will, muss den Krieg beenden.“ (http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Afghanistan/zivilisten-baf...).

Anfang September 2009 : Bombardement in Kunduz

Am Abend des 03.09.2009 wurden mehrere Kilometer südlich vom Flughafen Kunduz zwei Tanklastzüge von Aufständischen entführt. Diese fuhren sich weiter entfernt in einem Flussbett des Kunduz-Flusses fest und konnten von den Aufständischen nicht mehr bewegt werden. Die Bundeswehr hatte ständig ein Bild von der Situation durch permanente Luftüberwachung durch Flugzeuge der US-Luftwaffe. Der Zeuge zu 3) wird bekunden, dass die Fahrtrichtung der entführten Tanklastzüge nicht in Richtung des Camps der Bundeswehr war, so dass weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Gefahr für Soldaten der Bundeswehr bestand. Um die entführten Tanklaster herum standen weit mehr als 100 Personen, von denen zu erkennen war, dass nur ein Teil bewaffnet war. Im Gegensatz zu den NATO-Regeln in Afghanistan – wonach ein Luftangriff nur bei unmittelbarer Gefahr für in Kampfhandlungen verwickelte Soldaten anzuordnen sei – habe der Zeuge zu 3) Luftunterstützung angefordert und die Bombardierung der Tanklaster befohlen. Im Rahmen der ISAF-Regeln gelten zunächst die allgemeinen „rules of engagement“ (ROE), dazu kommen Standard-Einsatzverfahren, die sogenannten Standing Operation Procedures (SOP), hier im konkreten Fall die SOP 311 für „close air support“, Luftnahunterstützung. Hinzu kommen vom Zeugen zu 1) im August 2009 erlassene spezielle „taktische Direktiven“. Diese besagen u.a., dass Luftangriffe - und sei es in letzter Sekunde – abzubrechen seien, wenn auch nur ein geringes Risiko besteht, dass Zivilisten zu Schaden kommen könnten. Der Zeuge zu 1) wird bekunden, dass ein Fall des „close air support“ nur dann gegeben sei, wenn entweder Truppen Feindberührung haben, der Einsatz auf zeitkritische Ziele („time sensitive targets“) erfolgen soll, oder wenn bestimmte Personen vorsätzlich umgebracht werden sollen. Für letztere gebe es bei der NATO eine Liste von Namen, welche eine seiner Vorgänger, General David McKiernan erstellen ließ. Nur im ersten Fall – so der Zeuge zu 1) weiter – also bei unmittelbarer Gefahr für Truppen mit Feindberührung – darf der anfordernde Truppenführer – hier der Zeuge zu 3) – allein einen Luftschlag befehlen. Der Zeuge zu 3) wird bekunden, dass er entgegen allen ihm zur Verfügung stehenden Informationen zunächst vorsätzlich falsch die Information an die US-Luftwaffe gegeben habe, dass eigene Truppen vor Ort Feindberührung hätten. Er wird auch bekunden, dass er von den Piloten der Bomber darauf hingewiesen wurde, dass vor dem Abwurf von Bomben zunächst gemäß den ISAF-Regeln eine Warnung durch ein Überfliegen im Tiefflug über die Tanklaster hätte erfolgen müssen. Er habe diese Warnung jedoch bewusst nicht angeordnet. Bei dem Angriff habe er den Tod einer Vielzahl von unbeteiligten Zivilisten billigend in Kauf genommen.

Der Zeuge zu 1) wird bestätigen, dass der Zeuge zu 3) hiermit seine Befugnisse bei Weitem überschritten hat. Er hatte keine Kompetenz, einen solchen Angriff in einer solchen Situation allein anzuordnen. Mit der wissentlichen Inkaufnahme des Todes von unbeteiligten Zivilisten habe der Zeuge zu 3) ein Kriegsverbrechen begangen, welches vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag in einem Kriegsverbrecherprozess aufgeklärt und geahndet werden müsste.

Der Zeuge zu 2) wird bestätigen, dass er alles getan hat, um die Bevölkerung über den wahren Hergang der Tötung von ca. 100 Personen nicht in Kenntnis zu setzen. Er hat noch mehrere Tage nach dem Massaker wider besseres Wissen behauptet, dass keine Zivilisten hierbei umgekommen wären. Dies auch noch zu einem Zeitpunkt, als der Zeuge zu 1) und die NATO-Kommandostrukturen bereits zivile Opfer eingeräumt haben. Mittlerweile, so die Zeugen übereinstimmend, habe sich herausgestellt, dass mindestens 30 Zivilisten hierbei umgekommen sind, darunter auch Kinder und Jugendliche.

Die Schädigung von ZivilistInnen ist völkerrechtswidrig. Wenn Deutschland sich an völkerrechtswidrigen Handlungen beteiligt und solchen Handlungen zuarbeitet, ist Widerstand dagegen legitim. Wenn der Krieg, der von hier geführt wird, angegriffen wird, kann das nur als Widerstand gegen eine Beteiligung an einem illegitimen Krieg gewertet werden. Die versuchte Sachbeschädigung, um die es in dem Zusammenhang geht, ist als symbolischer Angriff auf einen völkerrechtswidrigen Krieg zu begreifen, durch den die Dramatik der tatsächlichen Lage der Gesellschaft vor Augen geführt werden soll, frei nach der Devise:

„Was in Deutschland brennt, kann in Afghanistan keinen Schaden mehr anrichten“

Olaf Franke, Thomas Herzog, Alexander Hoffmann
Sven Lindemann, Stephan Schrage, Undine Weyers

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