Bericht vom 44. Prozesstag (10.06.2009)

Um 9 Uhr begann die Zeugenvernehmung eines im höheren Dienst des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) tätigen Mitarbeiters, der unter dem "Arbeitsnamen" Guido Eggebrecht auftrat. Der hochgewachsene, hagere Mann gab sein Alter mit 53 Jahren an und wurde vom vorsitzenden Richter Hoch als Sachbearbeiter, der zur Struktur und Organisationsfragen der militanten gruppe (mg) arbeiten würde, eingeführt.

Zur angeblichen Geschichte der mg

Der Zeuge gab an 42 Anschläge und 13 Aktionsnamen sowie diverse Texte eines militanten Zusammenhangs wären die Grundlagen seiner folgenden Ausführungen. Ohne genauere Beschreibung wurde von ihm der Beginn der Aktivitäten des militanten Zusammenhangs mg auf Silvester 1993/94 datiert. (Anmerkung: In der Interim 268 vom 07.01.1994 Anschlagserklärung auf eine Volks-Bank in Berlin von "einige autonome" mit dem Titel "autonomer auftakt `94")
Das Selbstportrait einer militanten Gruppe vom August 1996 ( Interim 388 ) wird vom Zeugen als Fortführung desselben Zusammenhangs betrachtet. Bei dem vom Zeugen zunächst als Selbstportraitgruppe bezeichneten Zusammenhang habe es sich vermutlich um eine seit mehreren Jahren aktive "Männercombo" gehandelt, die in ihrer Selbstdarstellung Bezug zur RAF, RZ und AIZ genommen hätte. Diese Gruppe schlug vor an Themen der Basisbewegungen anzuknüpfen. Sie sahen dadurch und die Möglichkeit, perspektivisch als militanter Zusammenhang Bindeglied zu einer Metropolenguerilla zu sein, welche gezielt die Tötung von Funktionsträgern verfolge.

Texte der mg

Das Drohschreiben und die Patronenverschickung an die Stiftungsinitiative zur Entschädigung der ZwangsarbeiterInnen durch die mg im Juni 2001 sei, so der Zeuge, als eine neue Qualität der Gruppe gewertet worden und hätte deutlich gemacht, dass die Bedrohung von Personen "nicht nur Phantasie" sei. Siehe dazu Veröffentlichungen der mg
Daraufhin wären vom BfV lang anhaltende, umfangreiche und intensive Überwachungsmaßnahmen ( G 10 Maßnahmen ) eingeleitet und durchgeführt worden, die in regelmäßigen Abständen ein "kritisches parlamentarisches Genehmigungsverfahren" durchlaufen hätten.
In Bezug auf den Text "ein Debattenversuch der mg" vom 23.11.2001 (Interim 532, siehe Veröffentlichungen der mg ) hob der Zeuge hervor, dass der militante Zusammenhang sein bis dahin praktiziertes Konzept unter wechselnden Namen aufzutreten aufgegeben habe, um durch feste Namensgebung Orientierungspunkt sein zu können und seiner längerfristigen Ausrichtung Ausdruck zu geben.
In dem mg Papier zum Aufbau einer militanten Plattform vom April 2002 (Interim 550, siehe Veröffentlichungen der mg) geht es der mg, so referiert der Zeuge, um einen Organisierungs- und Vernetzungsprozess militanter Gruppen, der auf gemeinsame Kommunikation und aufeinander bezugnehmende Aktionen aufbaut. Die Interim und die radikal würden als Medium für den Austauschprozess favorisiert. Neu sei gewesen, dass hier erstmalig die Idee einer kämpfenden kommunistischen (revolutionären) Partei verfolgt werde. Darauf hätte es unterschiedliche Reaktionen anderer Gruppen gegeben. Von clandestino positive, von anderen kritische, was einen aufzubauenden Parteiapparat und die Tötung von Funktionsträgern betraf.
Der Zeuge referierte des weiteren aus mg Texten über die Zwangsläufigkeit der gewaltsamen Auseinandersetzungen in Klassenkämpfen, beschrieb die hohe "Tatfrequenz" der Gruppe und endete schließlich mit der Anschlagserklärung vom 18.05.2007 und dem "Wasserschlagschreiben" der mg Ende Mai 2007 (Interim 657) mit denen die mg auf die umfangreichen Durchsuchungen am 09.05.2007 im Vorfeld des G8 reagierte. Siehe Veröffentlichungen der mg

Gewonnene Erkenntnisse des BfV

Auf Nachfrage des vorsitzenden Richters Hoch, welche Erkenntnisse das BfV durch die Auswertung der Texte zur Anzahl der Gruppenmitglieder, Organisationsstruktur uä. erhalten habe, präsentierte der Zeuge wenig Handfestes. Eine "Männercombo mit großem Schreibeifer" sei die mg gewesen mit der Angewohnheit zur Selbstbespiegelung". Um so viele Texte (er sprach von 80 Seiten) und Ideen zusammenzutragen, hätte es gewiss mehrere Personen gebraucht. Ob es Fluktuationen gegeben habe konnte er nicht sagen. Seine Behörde könne nicht "diese oder jene Person zuordnen", denn ihr Ansatz sei ein "Beobachtungsfeld abzustecken", Ideologiefelder" auszumachen und "Zusammenhänge herauszufinden". Das BKA würde Einzelpersonen suchen.
Angesprochen auf die Unterschiede der Textanalyse von BKA und BfV führte der Zeuge aus, dass seinen Mitarbeitern bei der Analyse der mg-Texte aufgefallen sei, dass „mantramäßig“ die Begrifflichkeiten "inhaltlich-praktisch-logistisch" benutzt wurden und die Anschlagserklärungen immer nach dem selben inhaltlichen Muster durchstrukturiert worden seien.
Autorensuche hätte er nicht betrieben, Akteure zu suchen sei Aufgabe des BKA. Das angebliche Desinteresse des BfV an Akteuren wurde allerdings durch die Verteidigung mit dem Hinweis auf die erfolgten Überwachungsmaßnahmen ( G 10 Maßnahmen ) und die Zusammenarbeit mit einem Informanten infragegestellt. Die Texte seien mit dem Literaturauswertungsprogramm „GLINS“ und durch dazu befähigte Mitarbeiter analysiert worden. Wie wissenschaftlich dabei gearbeitet wurde, wollte der Zeuge nicht angeben. Bearbeitet worden seien im mg- Zusammenhang Texte von Januar 1994 bis Juni 2007. Danach sei die mg, so der Zeuge, nicht mehr lesbar gewesen.
Es folgten mehrere Fragen, die der Zeuge erst nach einem Telefonat mit seiner Behörde beantwortete. Dazu zählte auch die Frage, ob das BfV von den Militanzdebattenbeiträgen des BKA wusste (Muppetschow, interim Nr. 611, interim Nr. 639).
Nach seinem Telefonat antwortete der Zeuge, dass seine Behörde Zweifel an der Authentizität der Texte gehabt habe und sie als unwichtige Beiträge gewertet worden seien. Denn die mg hätte nicht darauf reagiert. Die Frage, ob auch das BfV sich durch Beiträge an der Debatte beteiligt habe, verneinte er nach der telefonischen Rückfrage. Richter Hoch fragte den Zeugen, ob er Erkenntnisse über Texte habe, die den Angeklagten zuzuordnen wären. Dies verneine der Zeuge.

Offene Fragen und Zeugenentlassung

Es folgten weitere Verhandlungspausen, die eingeschoben wurden, um den Zeugen „Eggebrecht“ die Gelegenheit zu geben mit dem BfV abzuklären, wie und ob er auf Fragen antworten solle. Ob Postkontrollen bei der Interim durchgeführt wurden und ob das BfV wisse, wann dort mg Bekennerschreiben zugegangen seien, blieb offen.
Auf die Frage wie das BfV darauf käme, das ein Beschuldigter aus dem mg Verfahren von 2001 "Antonio" sei, also ein Teilnehmer des runden Tisches der Militanten ( interim 498), sagte der Zeuge, dass das Militanzverständnis dieser Person, das Befürworten von Tötungen, welches in der Szene kaum geteilt werde, sowie Wortwahl und Thematik zusammenpassen würden. Der Zeuge wurde aufgefordert dazu auf schriftlichem Wege belastbare Fakten zu nennen, da er angegeben hatte, so unmittelbar keine gerichtsfesten Angaben machen zu können, sondern in die Akten gucken zu müssen. Er hätte nicht die Gerichtsakten gemeint, sondern die Unterlagen seines Hauses ergänzte er schnell.
Bereits vor der Mittagspause wurde der Zeuge entlassen. Welche Zeugen zu den nächsten Verhandlungstagen vorgeladen werden, konnte der vorsitzende Richter Hoch noch nicht angeben. Der 44. Prozesstag endete um 11.30 Uhr.
Der Prozess wird am Mittwoch den 17.6.2009 um 9 Uhr fortgesetzt, in der Wilsnackerstr.4 im Saal 129 B!!

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