Bericht vom 40. Prozesstag (30.04.2009)
Der 40. Prozesstag begann mit dem Verlesen einer Erklärung von RA Hoffmann in der er auf die Zeugenaussage von EKHK Binz der letzten drei Verhandlungstage einging. EHKH Binz hatte 39 Anschläge die der mg zugerechnet werden aufgeführt. Davon seien nur bei wenigen Anschlägen Brandreste gefunden worden. Laut dem Zeugen Binz haben nach dem 31.07.07 keine Anschläge der mg mehr stattgefunden, da kein Selbstbezichtigungsschreiben (SBS) eingegangen sei. Wörtlich habe der Zeuge gesagt, man gehe davon aus dass sich das Thema nach dem 31.07.07 erledigt habe. Eine Überprüfung, ob es weitere Anschläge der mg nach dem 31.07.07 gegeben habe fand nicht statt. Es könne ja durchaus sein,so RA Hoffmann, dass auf die Verwendung des Gruppennamens wegen der strafverschärfenden Folgen verzichtet werde. Man könne den Zeugen Binz auch als Zeugen vom „Hörenlesen“ bezeichnen. RA Lindemann ergänzte, auch bei EKHK Binz wurde die Aussagegehmigung willkürlich vom Zeugen selbst ausgelegt.
Muppetshow Teil 1
Wohnungsdurchsuchung am 31.07.2007
Dann begann die Zeugenvernehmung von KHK Stefan Nolte, 39, BKA Meckenheim. KHK Nolte hat zusammen mit seinem Kollegen KHK Kröger zwei Texte zur Militanzdebatte verfasst. (Interim 611 und 639) Den ersten Text vom 10. Februar 2005 (Interim 611) unterzeichneten sie mit „Die zwei aus der Muppetshow“. Anlage: BKA-Text aus der Interim 611 vom 10.02.2005, Seite 11
Richter Hoch befragte den Zeugen zuerst zu den Durchsuchungen vom 31.07.2007 an denen Nolte teilgenommen hat. Der Zeuge erzählte, er habe in der Wohnung eines der Angeklagten diverse Schriften und Texte gefunden. Teile davon habe er mitgenommen. Diese Papiere lagen in einem Karton, wie er zur Ablage von Altpapier benutzt wird. Der Zeuge sagte weiter, auf der Dienststelle habe er 12 Seiten des sogenannten „Minihandbuches“ gefunden. Man könne aber davon ausgehen so der Zeuge, dass es umfangreicher sein wird, denn es solle ja eine Zusammenfassung der Militanzdebatte sein und ein Abschluss dazu. Man habe auch eine Seite mit einer Auflistung von Anschlägen der mg gefunden. Auch diese sollte nach der Einschätzung des BKA mit dem Minihandbuch veröffentlicht werden. Diese Auflistung wäre für das Handbuch eine gute Ergänzung gewesen um einen Überblick zu geben. Ob dieses Blatt ein Orginal oder eine Kopie darstellt konnte der Zeuge nicht sagen. Er habe auch keine Kenntnisse darüber, ob dieses Papier noch an andrer Stelle aufgetaucht sei. Eine wissenschaftliche Auswertung dazu wurde nicht gemacht.
Durchsuchung bei der Freundin eines Beschuldigten
Bei der Durchsuchung in der Wohnung der Freundin eines Beschuldigten habe man persönliche Notizen, Jahreskalender und Ausgaben der Zeitschrift Radikal gefunden. Es sei schon merkwürdig so der Zeuge, dass man solche persönlichen Dinge in einer fremden Wohnung lagert.
Schriftuntersuchungen
RA Hoffmann fragte den Zeugen, ob sich die Überschriften und die Schrifttypen bei den gefundenen Papieren mit denen der mg decken. Dies konnte das BKA nicht feststellen. Man habe es aber versucht. Auf die Nachfrage, ob die Schriftgrößen verglichen wurden z.B: mit einem Millimetermaß oder die Texte einem Schriftsetzer vorgelegt wurden, sagte der Zeuge, nein seines Wissens nicht.
Auswertung von Texten im Militanzverfahren
Dann befragte Richter Hoch den Zeugen zu dessen Auswertung von Texten im Militanzverfahren. Der Zeuge Nolte sagte, dass er sich seit 2001, seit mg als Markenname aufgetaucht sei, damit befasse. Eine besondere Schulung oder wissenschaftliche Ausbildung habe er nicht, man bekommt bestimmte Aufgaben übertragen und da ihm das lag, habe er es weiter gemacht. Er habe Texte im dreistelligen Bereich ausgewertet.
Authentizität
KHK Nolte erklärte, die erste Frage bei einem SBS sei immer, ob es authentisch sei. Dies mache man daran fest, ob es Täterwissen enthalte. Dies sei Wissen, welches nicht in der Presse steht und die Tat auch noch nicht in der Presse veröffentlicht wurde. Bei den SBS der mg gab es keine Hinweise darauf, dass diese nicht authentisch gewesen sind. Die Gruppe selbst hat immer das Label mg verwendet. Dazu den Stern und bestimmte Parolen. Es mache keinen Sinn, dass es dazu Trittbrettfahrer gibt. Aus der Erinnerung des Zeugen gab es Dementis des mg, wenn ihr die Presse Anschläge zurechnete, die sie nicht begangen hatte. Es habe kein SBS der mg gegeben bei dem wir Zweifel hatten, dass es von der mg ist, so der Zeuge.
Gruppenstruktur
Richter Hoch fragte nun, ob es Erkenntnisse aus den Texten der mg oder der SBS auf die Gruppenstruktur gegeben habe. KHK Nolte sagte, dies sei ein weites Feld. Der Verfasser eines SBS sagt wenig zu seinen Strukturen. In den allgemeinen Veröffentlichungen kommt es schon vor, dass dazu was gesagt wird. Dies sei aber mit Vorsicht zu genießen. Es sei nicht für uns geschrieben, führte der Zeuge weiter aus, sondern für die LeserInnen der Interim.
Es handele sich aber um einen Personenkreis der sich schon vor 2001 kannte. Es könne Brüche geben. Leute kommen hinzu und andere gehen weg oder hören ganz auf. Es gäbe keine 100%ige Kontinuität der Personen. Teile der Personen seien von Anfang bis Ende dabei. Besonders die sogenannten „Führungspersonen“ die die Richtung vorgeben. Zwar werden hierarchische Strukturen wie Führungspersonen abgelehnt, aber aufgrund von Bildung und Persönlichkeit wird es Personen geben, die diese Funktion haben. Der Personenkreis kennt sich über Jahrzehnte. Es handelt sich um eine soziale Gruppe, die gefestigt ist. Es herrscht eine große Nähe zwischen den Personen, da sie sich lange kennen. Die Personen müssen bereits Mitte der 90er Jahre ein Vertrauensverhältnis gehabt haben, dies lasse Rückschlüsse auf das Alter der Personen zu. Man habe nichts gefunden, wie die Gruppenstruktur der mg festgelegt ist. Aber aus anderen Verfahren hätten sie Erkenntnisse zu Gruppenstrukturen gefunden so der Zeuge Nolte.
Autoren
Der Zeuge Nolte konnte keine Anzahl der mg-Autoren nennen. Aufgrund des unterschiedlichen Schreibstils, mal flappsig, mal wissenschaftlich, der Verwendung von alter und neuer Rechtschreibung gehe man von einer Vielzahl von Autoren aus. Ob dies nun 2, 3, oder 4 sind lässt sich nicht erschliessen. Wahrscheinlich ist es ein Autorenkollektiv gewesen. Dabei schreibt eine Person den Text, der dann gegengelesen und korrigiert wird bevor er veröffentlicht wird. Manche Veröffentlichungen haben einen wissenschaftlichen Stil und ein gutes Argumentationsmuster. Für diese Texte brauche man nach der Meinung des Zeugen Bildung. Mindestens Abitur. So wie in manchen Texten Zitate gewählt wurden, müsse man auch Kenntnis von wissenschaftlichen Arbeiten haben, wie man es an einer Universität lernt.
Männer oder Frauen?
Richter Hoch wollte wissen, ob es Erkenntnisse dazu gibt, ob es sich um Männer oder Frauen handelt. KHK Nolte sagte, die mg bemüht sich um eine feministische Sichtweise. Es gebe aber keine Hinweise auf explizit feministische Texte oder Themen. Es gäbe aber Hinweise darauf, dass es sich eher um eine Gruppe von Männern oder eine männerdominierte Gruppe handelt.
Gruppen der Militanzdebatte
Der Zeuge wurde nun von Richter Hoch befragt, ob es verschiedene Untergruppen der mg gibt. Er sagte, es habe bei der Militanzdebatte viele Texte von einer Vielzahl von Gruppen gegeben. Diese hätten fiktive Namen für ihre Texte benutzt. Man könne aber nicht davon ausgehen, dass jeder Text von einer Gruppierung stamme, sonst gäbe es ja eine Vielzahl von Gruppen.
Bei der Gruppe: Militante Antiimperialistische - Gruppe Aktionszelle Pierre Overney könne man davon ausgehen, dass es sich um einen Markennamen handelt. Diese Gruppe und die mg haben Verbindungen. Das BKA, so der Zeuge, spricht von einem teilidentischen Personenkreis. Die Analyse der Texte, des Sprachstils, der Themenwahl, die Verwendung des Sterns, der Parolen, die Überschriften, ein ähnliches Briefpapier und Adressaufkleber lassen diesen Rückschlüsse zu. Zudem habe es keine Kritik der mg an dieser Gruppe gegeben und umgekehrt. Die mg sei sonst bei Texten anderer Gruppen nicht so zimperlich gewesen.
Kleinstgruppenkreise
Der Zeuge führte weiter aus, dass aus einem konspirativen Kontakt zweier Personen, die sonst keinen Kontakt haben, (eines Beschuldigten dieses Verfahrens und einem Beschuldigten aus einem weiteren Verfahren), geschlossen wurde, dass die mg aus vielen Kleinstgruppen besteht, die untereinander keinen Kontakt haben. Nicht alle Mitglieder der Gruppierung kennen sich. Nur wenige Mitglieder haben soziale Kontakte zu den anderen Gruppen. Wieviele Kleinstgruppenkreise es gibt, ist dem BKA nicht bekannt.
Autorenidentität von mg, Radikal und Interim?
Richter Hoch fragte den Zeugen nun, ob er bei seiner Auswertung eine Übereinstimmung der Autoren von mg, Radikal und Interim feststellen konnte. Der Zeuge Nolte antwortete, alle Texte der mg seien in der Interim veröffentlicht worden. Es gebe aber keine Anzeichen dafür, dass die Autoren der mg im Redaktionskollektiv der Interim sind. Die Radikal sei zwar auch eine Szenezeitschrift, dabei handele es sich aber um einen Personenkreis aus dem militanten Bereich. Hier sei es denkbar, dass Mitglieder der mg auch an der Radikal beteiligt sind. Aus den gefundenen Radikalausgaben aus der Durchsuchung vom 31.07.2007 lasse sich schliessen, dass der Besitzer zum Verteilerkreis der Radikal gehört.
Schon bei einer Durchsuchung 2005 in einer Gartenlaube habe man Ausgaben der Radikal gefunden. Auch dieser Besitzer ist nach Ansicht des BKA in die Verteilerstruktur der Radikal eingebunden.
Zwar sei nicht jede Gruppe deren Texte in der Radikal veröffentlicht werden in der Redaktion, aber da der militante Bereich in der Radikal veröffentlicht wurde, macht es Sinn, wenn Mitglieder der mg auch Redaktionsmitglieder der Radikal sind. Dies ist seit ungefähr 2004 so, erklärte der Zeuge weiter. Seit die Radikal nach 5 Jahren Pause wieder veröffentlicht wurde.
Texte zum Minihandbuch
Es habe zwei Veröffentlichungen im Nachhang zum Minihandbuch Anfang Dezember 2007 in der Interim gegeben erläuterte Richter Hoch. Diese Texte sind vom Juni und Juli 2007 und behandeln das Minihandbuch. Der Zeuge Nolte sagte dazu, es sei ungewöhnlich, dass ein Text wie das Minihandbuch im Entwurfsstadium von anderen Gruppen diskutiert und veröffentlicht wird. Das suggeriert, dass die 12 Seiten des Handbuches bekannt gewesen sind. Dies sei äußert ungewöhnlich.
Untergruppen
Richter Hoch hielt dem Zeugen dann einen seiner Berichte vor in dem er von einer Teilgruppe der mg bestehend aus den Beschuldigten dieses Verfahrens berichtet und eine weitere Teilgruppe bestehend aus Beschuldigten aus einem anderem mg-Verfahren beschreibt. Der Zeuge führte dazu weiter aus, bei der anderen Teilgruppe müsse es weitere Mitglieder geben. Es habe da einen Anfangsverdacht aufgrund verschiedener Indizien gegeben. Ein in der Zeitschrift Telegraph veröffentlichter Artikel zum Volkskrieg der UCK und eine Text der mg enthielten viele Überschneidungen, dass das BKA der Meinung sei, es sei der gleiche Verfasser.
Einige der Personen der Teilgruppen haben Kontakte über ihre Wohnsituation gehabt. Man habe in Wohngemeinschaften zusammen gewohnt. Teilweise auch zusammen studiert. Die Zeitschrift Telegraph wurde 1998 gegründet und diese Personen haben darin Texte veröffentlicht.
Zusammenarbeit mit Verfassungsschutz
Richter Hoch fragte nun nach der Zusammenarbeit des BKA mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). KHK Nolte antwortete, dass es eine Zusammenarbeit mit dem BfV gibt. Das BfV habe auch Textanalysen durchgeführt. Dabei habe es keine gravierenden Unstimmigkeiten der beiden Behörden gegeben.
Die zwei Muppets
Der Zeuge wurde anschließend gefragt, ob er selbst Texte zur Militanzdebatte verfasst hat. Er gab an zwei Texte verfasst zu haben. (Interim 611 und 639) Er und sein Kollege KHK Kröger hatten die Idee dazu. Diese Idee sei mit seinem Vorgesetzten und der BAW abgesprochen gewesen. Die Texte wurden im Vorfeld der BAW zur Kenntnis gegeben und nach deren Genehmigung veröffentlicht. Es habe keine weiteren Texte gegeben so der Zeuge. Man habe den ersten Text nach einer Straftat bei einem Lidl-Rohbau verfasst. Außerdem habe man einen Text auf die überwachte Homepage des BKA gesetzt und sich Reaktionen darauf erhofft. Aus den Homepagezugriffen konnten keine Erkenntnisse gewonnen werden.
Die ganze Muppetshow?
Der Vorsitzende wollte vom Zeugen wissen, wieso bezüglich der selbstverfassten Texte des BKA nichts in den Akten des Gerichts zu finden ist. KHK Nolte meinte, zur Aktenführung des BKA könne er nichts sagen. Richter Hoch wollte weiter wissen, ob andere Behörden von den zwei Texten des BKA Kenntnis hatten. Denn im Landesverfassungsschutzbericht Berlin tauchen diese auf. Sie werden vom LKA als authentisch eingeschätzt. [Die betreffenden Stellen gibt es hier zum Download: Ausschnitt aus dem Berliner VS-Bericht 2005, Ausschnitt aus dem Berliner VS-Bericht 2006.] KHK Nolte sagte, von den Texten habe nur das BKA und die BAW Kenntnis gehabt. Er sagte weiter, es spräche ja eher für unsere Texte, dass diese aus authentisch eingeschätzt wurden. Richter Hoch entgegnete, dass das Gericht, die Anwälte und die Angeklagten vor dem Problem stünden und nicht wissen welche Texte authentisch sind. Richter Hoch führte weiter aus:“Möglicherweise stammen ja andere Texte von anderen Behörden.?“ Der Zeuge antwortete darauf, dass er dazu nichts sagen könne.
Fragen der BAW
Nun fragte Bundesanwalt Weingarten den Zeugen nach seinen Erkenntnissen zur Radikal. Der Zeuge sagte, in etwa dasselbe zur Radikal wie zuvor. Ergänzte, das es nach den 5 Jahren Pause der Radikal noch folgende Ausgaben gegeben habe: 157, 158, 159 und 160 im Jahr 2006. Danach habe es keine Veröffentlichungen der Radikal mehr gegeben. Der Zeuge ergänzte auf Nachfrage der BAW, dass die Radikal für die ideologische Verbreitung von Militanz stehe. Dann fragte Hr. Weingarten nach der Unvereinbarkeit von mg und Radikal. KHK Nolte antwortete, eine Unvereinbarkeit gebe es nicht. Weiter sagte er, die Radikal bestehe wahrscheinlich aus verschiedenen Personengruppen. Einem Sammelbecken von ideologischen Gruppen die links geprägt sind mit dem Ziel der Förderung der Militanz. Anwältin Greger fragte den Zeugen woher er seine Informationen beziehe. Darauf antwortete der Zeuge, er könne über interne Abläufe des BKA wegen seiner Aussagegenehmigung nichts aussagen. Bundesanwalt Weingarten wollte dann wissen, ob die mg sich zu den Festnahmen am 31.07.2007 verhalten habe. KHK Nolte sagte, eigentlich hätte die mg ein Dementi von sich geben müssen.
Befragung eines Muppets
Nach der Mittagspause begann RA Franke mit der Befragung des Zeugen Nolte zu der Durchsuchung am 31.07.2007. Der Zeuge sagte aus, er sei mehrere Stunden nach den Berliner Kollegen bei der betreffenden Wohnung angekommen. Die Durchsuchung sei aufgrund von „Gefahr im Verzug“ vorgenommen worden. Er habe sich keine Gedanken gemacht, ob ein Durchsuchungsbeschluss vorlag, dies sei Aufgabe des Durchsuchungsleiters. KHK Nolte wurde gefragt, wie alt die gefundenen Papiere seiner Meinung nach waren. Das letzte Datum der gefundenen Auflistung war 15.02.2005. Dies erklärte der Zeuge so, dass diese Auflistung der mg-Anschläge wohl auch noch im Entwurfsstadium war und später aktualisiert werden sollte. Die Auflistung könnte auch aus dem Internet stammen.
Unterbrechung der Verhandlung
Die heutige Verhandlung wurde um 13.25 Uhr unterbrochen, weil sich ein Beschuldigter nicht wohl fühlte. Der Prozess wird mit der Vernehmung von KHK Nolte am 06.05.09 um 9 Uhr fortgesetzt.