Bericht vom 38. Prozesstag (23.04.2009)

Zu Beginn der Verhandlung legte der Zeuge EKHK Joseph Binz, Sachgebietsleiter in den mg-Ermittlungen seit 2001, zwei Lichtbildmappen als Ergänzung zum gestrigen Verhandlungstag vor. Es ging dabei kurz um den Anschlag der mg auf das Sozialamt Tempelhof-Schöneberg am 23.09.2004.

Anschlag anderer Gruppe der mg zugerechnet
Ausführlich befragte der Vorsitzende Hoch den Zeugen zu dem Anschlag auf den Lidlmarkt und den in der selben Nacht entdeckten Anschlag auf ein Finanzamt in Berlin (10.01.2005). Laut Binz wurde dieser zweite Anschlag "Trittbrettfahrern" zugerechnet, trotz einem Graffiti: "stoppt HartzIV -- (mg)". Weiterhin wollte Hoch wissen, warum der Anschlag auf die Homepage des BKA aufgenommen wurde als Anschlag der mg, wenn dies nicht der Fall sei. Auch wollte er wissen, warum das BKA ein Dementi der mg bezüglich des Anschlags erwartet habe und warum das BKA sich so sicher war, dass es kein Anschlag der mg gewesen sei. Der Zeug konnte keine der Fragen klären.
In einem ersten Frageblock der Verteidigung ging es um die Verantwortlichkeit des Zeugen bei der Erstellung der beiden Texte vom BKA. (Der erste Text erschien am 10.02.2005, der zweite Text am 20.07.2006 jeweils in der interim im Rahmen der Militanzdebatte). Es ging der Verteidigung darum, ob und wie der Zeuge Genehmigungen von der BAW diesbezüglich eingeholt hat und um die genauen Entstehungsumstände der beiden Texte. Binz sagte dazu aus, dass der für das Strukturverfahren (mg) damals zuständige Staatsanwalt Hilkert (BAW) die Genehmigung dazu erteilt habe und der BAW der Text auch vor seiner Veröffentlichung vorgelegen habe. Er räumte aber ein, dass es eine außergewöhnliche Maßnahme gewesen sei, denn "man wollte weiter kommen", nachdem schon vier Jahre erfolglos ermittelt wurde. Laut Binz, kenne er keine weiteren Texte dieser Art vom BKA.

Wieder die zwei aus der Muppetshow
Der Zeuge ereiferte sich über, seiner Meinung nach, durch die mg-Anschläge fast zu Tode gekommenen Unbeteiligten. Er versuchte die Gefahr für Menschenleben, die angeblich von mg Anschlägen ausgehen würden aufzuzeigen, indem er drei Beispiele nannte (Gefährdung eines nächtlichen Arbeiters auf der Lidl-Baustelle, ein brennendes Fahrzeug, das sich in Bewegung gesetzt hatte und der Brand an der Fassade des Oberlandesgerichts Naumburg, in dessen Nebentrakt ein Hausmeister wohnte). Die Intention des Zeugen war es, diese angebliche Menschengefährdung durch die mg in der linken Szene und der Gruppe selbst bekannt zu machen. Dazu nutzte das BKA den in der interim veröffentlichten Muppetshowtext (Text 1 vom 10.02.05). Binz war nicht bereit zu benennen, welche Rolle er selbst und die BAW bei der Entstehung der BKA-Texte gespielt hatten.

Aussagegenehmigung selbst gemacht
Im Weiteren befragte die Verteidigung den Zeugen genauer dazu, wo (in welcher Art von Akte) das Zustande kommen des Textes dokumentiert wurde. Der Zeuge wollte sich dazu nicht genau äußern, da ihm das seine Aussagegenehmigung verbieten würde. Er gab aber an, dass in den Akten des Strukturverfahrens dazu Vermerke zu finden sein müssten. Desweiteren sprach er von Sach- und Handakten, deren weitere Erörterung durch die Intervention der BAW gestoppt wurde, woraufhin sich Binz auf seine mangelnde Aussagegenehmigung berief. Auf Bitte der Verteidigung, die Aussagegenehmigung des Zeugen in Kopie zu bekommen, händigte dieser dem Senat ein unausgefülltes "Formblatt" des BKAs aus, das weder von seinem Vorgesetzten unterschrieben war, noch den Namen des Zeugen enthielt. Dies wurde von den AnwältInnen bemängelt.
Staatsanwalt Weingarten führte nochmals an, dass der Kommunikationsverlauf zwischen BKA und BAW, auf die die Fragen der Verteidigung seiner Meinung nach abzielen würden, hier nichts zu suchen hätten. "Begehrlichkeiten der Verteidigung diesbezüglich laufen hier ins Leere", so Weingarten. Deutlich wurde im Folgenden, dass Binz über die Aktenführung/-ablage in seinem Sachgebiet nicht Bescheid weiß.

Trittbrettfahrer
Nach der Mittagspause, setzte die Verteidigung die Vernehmung des Zeugen fort. Es ging zunächst um das von BKA angenommene Schema der Anschläge der mg und wie die Ermittlungsorgane eine Abgrenzung zu Aktionen von sog. "Trittbrettfahrern" vornahmen. Nach Binz, rechnete das BKA nur Anschläge der mg zu, wenn ein entsprechendes Bekennerschreiben einging und die Aktion im Bereich Berlin und Brandenburg stattgefunden hatte (Ausnahme: Dessau, Magdeburg). Die Verteidigung wollte vom Zeugen wissen, woher das BKA Kenntnisse von Trittbrettfahrern erhielt, ob diese irgendwo aufgelistet wurden und wer aufgrund welcher Kriterien eine Unterscheidung in mg und "Trittbrettfahrer" vornahm. Insgesamt kam bei diesem Frageblock lediglich heraus, dass es in der Zentralstelle der Polizei einen täglichen Lagebericht, unter anderem mit einer Auflistung politisch motivierter Brandanschläge gibt.

Fragen zu den einzelnen Anschlägen
In einem weiteren thematischen Block begann die Verteidigung den Zeugen zu sämtlichen bisher von ihm genannten mg-Anschlägen zu befragen. Zu den einzelnen Anschlägen wurden folgende Fragen gestellt: Welche Rolle hatte Binz bei den jeweiligen Ermittlungen? Was und wie wurde ermittelt (meist ging es dabei um die Frage nach den sichergestellten Resten der Brandsätze)? Welche Ergebnisse ergaben sich daraus? Es wurde deutlich, dass Binz an den meisten Ermittlungen (auch am Tatort) nicht direkt beteiligt war und nur aus den Unterlagen von Kollegen informiert war. Binz führt aus, dass an den Tatorten in vielen Fällen nichts, d.h. keine Reste von Brandsätzen, kein Brandbeschleuniger usw. gefunden wurde, da alles verbrannte. Nur die gelegentlich gefundenen Reste von Postnormpaketen würden, so Binz, auf die Verwendung des "Nobelkarossentod" hindeuten (Brandsatz, der in der radikal als Bauanleitung zu finden war), den die mg laut BKA verwendete. Diesen charakterisierte der Zeugen sehr
ausführlich mit seinen einzelnen Bestandteilen und führte zudem noch einen zweiten Zündmechanismus an. Wie viele Personen nach Erkenntnissen des BKA bei den jeweiligen Anschlägen beteiligt sein mussten, konnte der Zeuge nicht beantworten. Bis auf wenige Ausnahmen, könnten die Anschläge auch von nur einer Person durchgeführt worden sein.

Weiterhin kam die Verteidigung nochmals auf den Anschlag auf das Oberlandesgericht Naumburg (18.09.2003) zurück und fragte den Zeugen, ob er genau wisse, wo die bereits oben erwähnte Wohnung des Hausmeisters liege. Dass die Wohnung in einem Seitenflügel liegt, entfernt von der Eingangstür des OG, die in Brand gesetzt wurde, wusste der Zeuge nicht.
Binz wurde auch noch nach den Erkenntnissen des BKA bezüglich der vermuteten Teilpersonenidentität der Gruppe "Militante Antiimperialistische Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney -" mit der mg befragt. Konkret ging es um zwei Schreiben der mg, in denen die Gruppe Pierre Overney erwähnt bzw. gegrüßt wurde. Wie das vom BKA bewertet wurde, konnte der Zeuge nicht beantworten. Er verwies diesbezüglich aber auf einen Kollegen (Name unverständlich), der dazu sicher etwas schriftlich verfasst hätte.
Zu der Frage, zu welchen Ergebnissen die Ermittlungen bezüglich der Drohbriefe der mg an die Stiftungsinitiative 2001 geführt hätten, konnte der Zeuge nichts Belastendes zu den mg-Beschuldigten sagen.

Die Zeugenbefragung wurde an dieser Stelle für den heutigen Tag unterbrochen.

Hoch forderte zum Ende des Verhandlungstages die BAW auf, die Ermittlungserkenntnisse und Akten zum Parallelanschlag auf ein Finanzamt in Berlin am 10.1.2005 nachzuliefern (siehe oben). Die BAW sagte zu die Akten zu besorgen. Staatsanwältin Greger deutet an dieser Stelle an, dass es sogar noch einen dritten Anschlag in dieser Nacht gegeben habe.

Stellungnahme der BAW zum Antrag vom 20.04.2005
In einer Stellungnahme zum Antrag der Verteidigung vom 20.04.09 auf Beschlagnahmung der Handakte des Zeugen KHK Damm (BKA) wies die BAW diesen zurück. Sie begründete dies, dass die Handakte des BKA weder für die Aktenvollständigkeit noch für die Aufklärungspflicht relevant sei.

Der nächste Verhandlungstermin ist am Mittwoch, den 29.04.2009 um 09:00 Uhr. Die Vernehmung des Zeugen EKHK Binz (BKA) wird fortgesetzt. Die geplante Ladung des Zeugen KHK Damm (BKA) für diesen Tag wird verschoben.

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