Linksextreme sind zerstritten und distanzieren sich von Angriffen auf
Privat-Pkw. Polizeipräsident Dieter Glietsch dämpft allerdings
Erwartungen an einen Rückgang linksextremer Gewalt in der Stadt.
Der Text ist harter Stoff, die Lektüre fast schon eine
Strafe: Auf 23 Seiten erklärt die linksextreme Untergrundformation
„Militante Gruppe“ im Szeneblatt „Radikal“ ihre Selbstauflösung –
weitschweifig, ohne Reue und mit Verweisen auf Marx, Mao, Lenin und
andere Helden der Weltrevolution. Gleichzeitig bekennt sie sich in dem
„schriftlichen Interview“ noch schnell zu drei Brandanschlägen, die sie
Anfang 2009 verübt haben will. Die Autoren des Papiers bleiben anonym
und präsentieren nur demonstrativ bescheiden das Kürzel „(mg)“, ganz in
der Tradition früherer Rechtfertigungsschreiben zu gewaltsamen Aktionen.
„Wir lösen uns heute und hier mit diesem Beitrag als (mg) auf! Von nun
an ist die (mg) in die Widerstandsgeschichte der revolutionären Linke
in der BRD eingegangen“, lauten die zentralen Sätze (Fehler wie im
Original). Als Hauptgrund werden unter anderem interne Streitereien
genannt. Unabhängig davon distanzieren sich die Autoren von den
wahllosen Brandanschlägen auf Privat-Pkw. Die Sicherheitsbehörden
halten den Text für authentisch und glauben nicht, dass die Militante
Gruppe weiter aktiv bleibt. Damit ist erneut ein Versuch von Teilen der
linksextremen Szene gescheitert, mit terroristischen Methoden den
Kommunismus zu erkämpfen.
Polizeipräsident Dieter Glietsch dämpft allerdings Erwartungen an einen
Rückgang linksextremer Gewalt in der Stadt. Der Text werde keine
Auswirkungen auf die Sicherheitslage haben, sagte Glietsch am Montag
dem Tagesspiegel. Schließlich teile die Gruppierung mit, sie wolle ihr
„Projekt“ weiterverfolgen. Straftaten ihrer Mitglieder „unter anderem
Namen sind damit keineswegs ausgeschlossen“, warnte der
Polizeipräsident.
Offen bleibt, ob die Autoren des Opus zur Selbstauflösung oder gar die
ebenfalls anonymen Redakteure von „Radikal“ mit den drei Männern
identisch sind, gegen die seit September 2008 am Kammergericht
verhandelt wird. Die Bundesanwaltschaft wirft Florian L., Axel H. und
Oliver R. die Mitgliedschaft in der Militanten Gruppe und einen
Brandanschlag auf drei Lastwagen der Bundeswehr in Brandenburg/Havel
vor. Kurz nach dem Angriff im Juli 2007 hatte die Polizei die Männer
festgenommen. Polizeipräsident Glietsch vermutet, der Text zur
Selbstauflösung könnte ein „prozesstaktisches Manöver“ sein, das den
Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung entkräften
solle. In dem Text in „Radikal“ wird eine organisatorische Verbindung
der Angeklagten zur Militanten Gruppe bestritten.
Die „(mg)“ bekannte sich von 2001 an zu etwa 30 Aktionen, darunter 28
Brandanschläge. Die Serie begann im Juni 2001, als sich die
Linksextremisten in die Debatte über den Umgang mit den einstigen
Zwangsarbeitern des NS-Regimes einmischen wollten. In Briefen, denen
eine Kleinkaliberpatrone beigelegt war, wurden der
Regierungsbeauftragte für die Entschädigung der Zwangsarbeiter, Otto
Graf Lambsdorff, sowie weitere Repräsentanten der Stiftungsinitiative
der deutschen Wirtschaft bedroht. Im selben Monat verübte die Militante
Gruppe einen Brandanschlag auf Fahrzeuge der Niederlassung des Konzerns
Daimler-Chrysler in Berlin. So ging es weiter, auch in Brandenburg und
Sachsen-Anhalt wurde gezündelt. Die Anschläge richteten sich gegen
Konzerne, die Polizei, die Justiz und diverse Ämter. Getroffen wurden
Fahrzeuge und Gebäude. Der Schaden summiert sich auf mehr als 800 000
Euro.
Die Serie endete zunächst nach der Festnahme von Florian L., Axel H.
und Oliver R. im Juli 2007. Die Sicherheitsbehörden halten es für
offenkundig, dass die Militante Gruppe zerschlagen wurde und die
Angeklagten ihr zuzurechnen waren. In dem Text zur Selbstauflösung wird
allerdings behauptet, die Militante Gruppe sei auch für drei Anschläge
von Januar und Februar dieses Jahres verantwortlich. Genannt werden
Angriffe auf das Sozialgericht in Potsdam, die Agentur für Arbeit in
Charlottenburg und drei Fahrzeuge der Bundeswehr in Sachsen-Anhalt. Die
Fälle sind noch nicht aufgeklärt.
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 14.07.2009)
Quelle: tagesspiegel | 14.07.2009 | http://www.tagesspiegel.de/berlin/Polizei-Justiz-Linksextremismus-Dieter-Glietsch;art126,2847112
https://einstellung.so36.net/de/ps/1477