BGH: Überwachung angeblicher Aktivisten der "Militanten Gruppe" rechtswidrig

Berlin (ddp-bln). Die jahrelange Überwachung von drei angeblichen Berliner Aktivisten der als linksextrem eingestuften "Militanten Gruppe" ist rechtwidrig gewesen. Zu dieser Einschätzung kommt der Bundesgerichtshof (BGH) in einem erst jetzt bekannt gewordenen Beschluss vom März 2010, der der Nachrichtenagentur ddp vorliegt. Danach waren die verdeckten Ermittlungsmaßnahmen wie Telefonüberwachungen und Observationen gegen die Männer durch den Verfassungsschutz rechtswidrig, weil "zu keinem Zeitpunkt ein ausreichender Tatverdacht bestand".

Das Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigten wegen des Verdachts, die "Militante Gruppe" gegründet zu haben, wurde bereits 2008 eingestellt. Die Klage auf Feststellung der Unrechtmäßigkeit der staatlichen Überwachungsmaßnahmen hatte vor dem BGH jetzt Erfolg.

Bereits bei der ersten Anordnung der Überwachung und Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs vom Juli 2001 lag ein "ausreichender Tatverdacht nicht vor", urteilten die Richter. Selbst ein entlastendes Gutachten, wonach es für die Urheberschaft von Texten wie Selbstbezichtigungsschreiben für Anschläge keinen sicheren Nachweis gab, habe in einer Antragsschrift des Generalbundesanwalts an den Ermittlungsrichter des BGH "keine Erwähnung" gefunden.

Zudem zeigten Auswertungsberichte des Bundeskriminalamtes (BKA) zu den Überwachungsmaßnahmen, "dass wesentliche Erkenntnisse zu begangenen Straftaten nicht gewonnen werden konnten", heißt es weiter. Die Ermittlungen hätten sogar - selbst nach Auffassung des BKA und des Generalbundesanwalts - für die früheren Beschuldigten "entlastende Umstände" erbracht.

In Einzelfällen belegten die Ergebnisse der verdeckten Maßnahmen, dass die Männer "an Aktionen der 'Militanten Gruppe' nicht beteiligt gewesen sein können". Als Beispiele wurden unter anderem Brandanschläge auf das Finanzamt Berlin-Neukölln vom Januar 2003 oder auf das Berliner Polizeipräsidium vom April 2006 genannt. Die Richter resümierten: "Tatsächliche Anhaltspunkte" dafür, dass einer der früheren Beschuldigten eine "Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hatte, lagen nicht vor."

Es sei “nicht hinnehmbar, dass allein aufgrund von Vermutungen und politischer Orientierung Personen über einen Zeitraum von mehr als sieben Jahren rechtswidrig überwacht werden können„, betonte am Samstag ein Sprecher des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV). Aus Sicht des RAV sei es nicht ausreichend, die Staatsanwaltschaften zu verpflichten, auch entlastende Umstände in ihren Anträgen vollständig wiederzugeben. Gerade bei länger andauernden heimlichen Ermittlungsmaßnahmen müsse der Ermittlungsrichter eine eigenständige Prüfung anhand des gesamten Akteninhalts vornehmen, forderte der Sprecher.

Dass die Richter am Bundesgerichtshof derart deutliche Worte finden, ist nach Darstellung des RAV "richtig und überfällig". Es lasse aber "befürchten, dass auch in anderen Verfahren ähnlichen Hintergrundes das Funktionieren der rechtsstaatlichen Institutionen zweifelhaft ist und insbesondere vonseiten der Generalbundesanwaltschaft massiv gegen Grundrechtsgarantien verstoßen wird."