Auseinandersetzung mit Knast

aus dem Buch "Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen. Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg)", S. 28ff, ISBN 978-3-942885-00-3, edition assemblage, März 2011.

Repression ist immer eine unangenehme Sache, kostet viele Nerven und noch mehr Zeit. Das gilt besonders, wenn Genoss_innen in den Knast gesteckt werden. Der Kontakt ist schwierig, die Diskussionen laufen weder frei von Überwachung noch direkt und das Umfeld muss sich mit einem Feld der Repression auseinandersetzen, das die meisten nur theoretisch in ihre politische Arbeit mit einbeziehen. Das war auch beim Einstellungsbündnis nicht anders. Ausführlicher haben wir uns nur zu zwei Zeitpunkten mit dem Thema Knast beschäftigt: während die vier Beschuldigten in Untersuchungshaft saßen und zum Ende des Prozesses, als klar wurde, sie müssen irgendwann wieder rein.

Während der Inhaftierung von Andrej, Axel, Florian und Oliver war von „Sonderhaftbedingungen“, sogar von Isolationshaft, die Rede. Tatsächlich gibt es in Berlin-Moabit für §129a-Gefangene eine Trennscheibe bei Anwaltsbesuchen und die Verteidigerpost wird vor Aushändigung durch eine/n sogenannte/n Leserichter/in gelesen. Aber die anderen Ungeheuerlichkeiten gelten auch für die anderen U-Häftlinge. Wir mussten erstmal lernen, dass es für alle Gefangenen in Moabit üblich ist, 23 Stunden in der Zelle eingeschlossen zu sein. Insbesondere einer unserer Gefangenen berichtete, dass es anderen Gefangenen viel schlechter geht. Die haben nämlich keine politische Community hinter sich, die das Haftkonto auffüllt oder Knastkundgebungen organisiert. Sie haben oft keine Freund_innen und Anwält_innen, die regelmäßig zu Besuch kommen. Sie erhalten keine Päckchen und Briefe, viele können noch nicht mal lesen und schreiben.

Im Bündnis gab es einige, die speziell zu diesem Thema gearbeitet haben und Knast zum Schwerpunkt auf Veranstaltungen gemacht haben. Auch untereinander haben wir darüber gesprochen: Was bedeutet Knast und Knastalltag? Was heißt es, überraschend einzufahren? Wie wichtig sind persönliche Beziehungen, die etwas unternehmen, wenn Genoss_innen einfahren? Zu Freund_innen und Genoss_innen eines Gefangenen haben wir in den ersten Wochen und Monaten so gut wie keinen Kontakt gehabt. Auch in unserem Fall hat sich gezeigt: Ein soziales, politisches Umfeld ist immer gut und wichtig. Immer wieder wurde geäußert, wie sinnvoll es sei, schon bevor mensch inhaftiert wird, gewisse Dinge geklärt zu haben. Vor allem Aktivist_innen, die militant unterwegs sind, sollten sich dessen bewusst sein und diesem Thema innerhalb ihrer Gruppen ausführlich Raum geben.

Wenn das Urteil rechtskräftig wird, müssen Axel, Florian und Oliver ihre Haftstrafe antreten. Sie haben als Nicht-Vorbestrafte gute Chancen, bald in den offenen Vollzug zu kommen und gegebenenfalls als Freigänger den Knast tagsüber zu verlassen, um einer Lohnarbeit nachzugehen – sofern sie das alles wollen und sich auf die Bedingungen einlassen. Eventuell werden sie nach zwei Drittel oder der Hälfte der Haftzeit auf Bewährung entlassen.

Rechtlich ist es so: Nach Haftantritt soll nach §6 StVollzG unter Beteiligung des Gefangenen damit begonnen werden, „die Persönlichkeit und die Lebensverhältnisse des Gefangenen zu erforschen“. Es gibt ein oder mehrere Gespräche mit dem Gefangenen, bei denen unter anderem die Auseinandersetzung mit der Straftat ein zentrales Thema ist. Hierbei wird versucht, das Verhältnis des Gefangenen zu seiner Tat bezüglich Schuldeinsicht und anderes mehr zu erfassen. In Berlin gibt es für diese Begutachtung des Gefangenen seit 1991 die Einweisungsabteilung (EWA) in Tegel. [Axel, Florian und Oliver wurden allerdings zum Haftantritt in die JVA des Offenen Vollzugs Berlin (JVA OVB) geladen, an drei verschiedene Standorte verlegt und jeweils dort begutachtet.] Die EWA schreibt auf ihrer Webseite: „Unter anderem wird der Straftäter ermuntert, über seine Biographie und die in seinem Leben aufgetretenen Schwierigkeiten zu sprechen. Der Inhaftierte bekommt ein weiteres Mal die Möglichkeit, seine Sicht des Tatablaufs zu schildern, ohne prozesstaktische Kalküle zu berücksichtigen und wird aufgefordert, selbstständig Faktoren zu benennen, die zu seiner Straffälligkeit geführt haben könnten.“ Das hört sich nicht nur Scheiße an ...

Eine Strafvollzugskonferenz entscheidet danach über den Vollzugsplan, in dem die Vollzugsform (offener oder geschlossener Vollzug) und der Verlauf der Haft bezüglich individueller Ziele festgehalten werden. An der Erreichung der Vollzugsziele soll der Gefangene mitarbeiten. Eine Kooperation ist Voraussetzung für den offenen Vollzug (d. h. der Gefangene kann morgens den Knast zur Lohnarbeit verlassen und kehrt danach zurück), für Vollzugslockerungen (Ausgang, Urlaub) und für die vorzeitige Entlassung. Ob mensch dabei mitspielt, war eine von einem Beschuldigten aufgeworfene Frage auf den Treffen des Einstellungsbündnisses im Frühjahr 2010. Offener Vollzug klingt zunächst besser als geschlossener Vollzug. Aber jeden Abend freiwillig in den Knast zu gehen, ist ganz schön krass, erfordert persönliche Überwindung und vielleicht auch einen Bruch mit eigenen bisherigen politischen Prinzipien. Das macht was mit dir – wie wenn du dich selbst stellst: Es ist kein kämpferisches Verhältnis mehr. Und wenn mensch sich auf den offenen Vollzug einlässt, macht mensch sich erpressbar. Wenn du nicht tust, was mensch im Knast von dir verlangt, können die Hafterleichterungen von heute auf morgen zurückgenommen und du kannst in den geschlossenen Vollzug verlegt werden. Wenn du weiter im offenen Vollzug bleiben willst, brauchst du mit widerständigem Verhalten erst gar nicht anzufangen. So funktionieren Knast und Resozialisation.