Solidarisch? Na klar – aber wie?

aus dem Buch "Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen. Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg)", S. 13ff, ISBN 978-3-942885-00-3, edition assemblage, März 2011.

Gemeinsamkeit aller im Einstellungsbündnis vertretenen Menschen war der Wunsch, etwas gegen die Repression zu unternehmen und politische Solidarität zu organisieren. Insofern konnten wir uns die 2007 häufig gerufene Parole „Wir sind alle 129a“ oder ihre Variation „Sind wir nicht alle ein bisschen 129a?“ zu eigen machen. Schließlich hatte sie einen wahren Kern: Gemeint sind wir alle. Entsprechend versuchten wir später zu vermitteln, dass die Verhaftungen von Andrej, Axel, Florian und Oliver im Sommer 2007, die fortdauernden §129/a-Ermittlungen gegen sieben weitere vermeintliche Mitglieder der militanten gruppe und der im September 2008 begonnene Prozess auf die gesamte Linke zielten. Es war ein Angriff auf alle, die sich nicht mit Kapitalismus, Ausbeutung und Unterdrückung abfinden wollen und nach Wegen zur Überwindung dieser Verhältnisse und zu einem besseren Leben suchen.

Das Projekt mg war innerhalb des Bündnisses umstritten. Zwar kam eine Distanzierung nicht infrage, dennoch gab es kritische Stimmen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht inhaltlich Stellung zur mg beziehen wollten. Daran entspann sich die Frage, die uns bis zum Schluss immer wieder beschäftigte: Wie verhalten wir uns solidarisch, auch wenn es am politischen Projekt Kritik gibt? Wie geht mensch generell damit um, wenn mensch eine Gruppe politisch oder konzeptionell nicht gut findet, sie aber doch Teil der Linken ist? Einer der insgesamt zwölf Beschuldigten sagte ganz offen: „Wenn ich nicht beschuldigt wäre, säße ich nicht hier.“ In diesen Fragen und Kommentaren spiegelte sich ein Teil unserer Schwierigkeiten, sich gemeinsam über unsere Vorstellung von Solidarität oder was Solidarität ganz praktisch bedeutet, zu verständigen.

Im Laufe der Zeit ist es uns gelungen, hierzu eine für alle tragbare Einigung zu finden. So wurde beispielsweise formuliert, Solidarität heiße nicht hundertprozentige Übereinstimmung mit dem, was kriminalisiert wird. Auch als Anarchist_in bzw. Kommunist_in kann und muss mensch mit Aktivist_innen solidarisch sein, die der Mitgliedschaft in einer Gruppe angeklagt werden, die sich als kommunistisch bzw. anarchistisch versteht.

Nach zwei Jahren entstand während der Vorbereitung unserer Veranstaltung „Alles was uns fehlt ist die Solidarität“ am 7. Juli 2009 an der Berliner Humboldt-Universität folgender Text: „Solidarität ist für uns ein ganz grundlegender Wert, politisch und moralisch, und außerdem eine Bedingung für Organisierung jenseits der herrschenden Verhältnisse. Sie richtet sich gegen die Individualisierung, die sich gesellschaftlich durchgesetzt hat. Sie verbessert die Handlungsfähigkeit einer linken Bewegung. Wenn man systemkritisch eingestellt ist, ist man nur handlungsfähig, wenn man weiß, dass Leute hinter einem stehen und einen unterstützen, wenn die Repression einem was aufs Dach gibt. Wenn man vor den Kadi gezerrt wird, braucht man Unterstützung und Kraft, um einen gangbaren Weg zu finden, der mit der eigenen Haltung vereinbar ist. Wenn man im Knast sitzt, braucht man Leute, die draußen etwas los machen, und die sich kümmern, konkret, verbindlich, praktisch und politisch. Und wir verteidigen die Möglichkeit, bewusst zu seiner Haltung zu stehen. Nicht als Mythos oder als Anspruch, aber als Möglichkeit, den Kopf oben zu behalten. Solidarität hilft – psychologisch, materiell, politisch, menschlich. Wir wollen, dass alle, die aus politischen Motiven herrschende Grenzen übertreten, ihren Kopf oben behalten können. Was man braucht in der Soliarbeit ist: Hartnäckigkeit bei gleichzeitig hoher Frustrationstoleranz und die Fähigkeit, starke Widersprüche auszuhalten – wohl eine Kulturtechnik, die wieder stärker trainiert werden muss. Wir brauchen als Linke eine eigenständige Vorstellung und Praxis von Solidarität, die Bündnisse ermöglicht und mehrseitige Toleranz beinhaltet. Wir sollten die eigenen Grenzen im Kopf durchlässiger machen und die eigenen Ängste und Vorurteile beiseite stellen. Es geht zunächst um eine grundsätzliche Haltung der Verteidigung von anderen als Teil von uns selbst: das sind unsere Leute, sie kommen aus der linken Bewegung, sie sind von Repression betroffen und brauchen Unterstützung. Auch wenn man nicht alles richtig findet, was sie vielleicht vertreten oder tun mögen.“

Was das konkret heißt, haben wir auf unterschiedlichen Ebenen immer wieder miteinander ausgefochten. Nicht alle Entscheidungen sind immer bewusst getroffen bzw. dann auch ausgesprochen worden. Manches hat sich faktisch aus der Arbeitsweise ergeben, anderes wurde immer wieder diskutiert, ohne dass es zu einer wirklichen Einigung gekommen wäre. Mit zunehmender Verfahrensdauer merkten wir, dass Dinge parallel laufen bzw. nebeneinander stehen bleiben können, ohne dass dies anderen schadet, aber auch, dass über Dinge eben immer wieder neu diskutiert werden muss.