Linke Politik verteidigen!

Mit diesem Text soll ein kleiner Überblick über den aktuell vor dem Berliner Kammergericht laufenden §129-Prozess (Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung) gegen drei Berliner Aktivisten aus der linken Szene geliefert werden. Die drei bzw. weiteren Personen werden konkret der Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg) angeklagt bzw. als Beschuldigte verdächtigt.

Wer ist die militante gruppe (mg)?

Die mg hat sich 2001 erstmals in Wort und Tat in die politische Arena begeben. Im Sommer 2001 war die Debatte um die sog. Entschädigung von ehemaligen ZwangsarbeiterInnen während des Nazi-Faschismus in vollem Gange. Die mg unternahm in dieser emotionalisierten Debatte um NS Verbrechen und deren Relativierung einen Anschlag auf die Mercedes-Benz-Niederlassung in Berlin und versandte scharfe Patronen an den Personenkreis der sog. Entschädigungsstiftung. In den folgenden Jahren brachte sich die mg inhaltlich und praktisch in viele aktuelle Themen ein, die weit über den Bereich der Linken virulent waren. So z.B. durch militante Angriffe auf Einrichtungen der ‚Sozialtechnokratie' wie Sozialämter und Pilotprojekte der sog. Jobcenter oder verantwortlicher Behörden staatlicher Abschiebepolitik wie des Bundesgrenzschutzes bzw. der Bundespolizei. Die jeweiligen Taten wurden durch Anschlagserklärungen inhaltlich begründet und veröffentlicht. Insgesamt werden der mg 24 militante Aktionen zugeschrieben.

Insbesondere ist die mg durch die Initiative einer Militanz-Debatte in der Szene-Öffentlichkeit aufgetreten. Diese seit 2001 begonnene Diskussion um Wege und Mittel militanter Politik sollte zu einem intensivierten Austausch klandestiner Gruppenstrukturen beitragen, um entweder über den inhaltlichen Positionsabgleich oder eine direkte Vernetzung eine koordinierte Vorgehensweise auf einer konzeptionellen Grundlage zu ermöglichen. Diese Militanz-Debatte ist, um es vorsichtig zu sagen, noch ergebnisoffen und dümpelt seit geraumer Zeit nur noch vor sich hin.

Die mg hat als Selbstcharakterisierung in einem Gruppenportrait geschrieben, dass sie sich als einen sozialrevolutionären und antiimperialistischen Zusammenhang betrachtet, der sich ideologisch auf einer kommunistischen Grundlage bewegt. Dabei orientiert sich die mg hauptsächlich an den links- und rätekommunistischen Strömungen, die sich Anfang der 20er Jahre innerhalb und außerhalb der Formierung der III. Kommunistischen Internationalen (KomIntern) herausgebildet haben und der ab Mitte der 20er Jahre einsetzenden 'Stalinisierung' entgegenwirken wollten.

Die mg-Verfahren

Bereits wenige Wochen nach dem ersten militanten Anschlag der mg nahm die Bundesanwaltschaft (BAW) die Ermittlungen gegen die militante gruppe auf. Das erste mg-Ermittlungsverfahren richtete sich gegen linke Aktivisten aus der Gefangenen-Initiative „Libertad!". Das Bundeskriminalamt (BKA) und die BAW gingen bis kurz vor Prozesseröffnung gegen Axel, Flori und Olli davon aus, dass es sich bei dieser Personengruppe um den ‚Ursprungskern' der militanten gruppe handelt. Bereits vor diesem Verfahren wurden diese linken Aktivisten über Jahre von den staatlichen Stellen überwacht. Da sie sich in den 80er Jahren u.a. in antiimperialistischen Zusammenhängen politisch engagierten, waren sie für die bundesdeutschen ‚Sicherheitsbehörden' von Beginn an von einem erhöhten Interesse. Im Jahr 2003 kamen zwei weitere mg-Verfahren hinzu.

Einmal gegen einen Sohn eines ehemals beschuldigten Libertad-Angehörigen und einmal gegen eine Person, die in den 80er Jahren u.a. in der militanten feministischen Gruppierung ‚Die Amazonen' mitgewirkt haben soll. 2006 erfolgte dann das vierte mg-Verfahren gegen einen Personenkreis, der u.a. im akademischen Milieu tätig ist.

Diese Ermittlungen führten dazu, dass über Teile dieser Personen die drei jetzt in Berlin Angeklagten ins Visier der Verfolgungsbehörden gerieten. Vor Prozessauftakt des aktuellen Verfahrens erfolgte eine Abtrennung der vier linken Wissenschaftler von den drei vor dem Berliner Kammergericht stehenden Genossen. Die ersten drei mg-Verfahren sind inzwischen sang- und klanglos in sich zusammengefallen und mussten eingestellt werden. Das aufgesplitterte vierte mg-Verfahren läuft nach wie vor. Des Weiteren ist kurz vor Prozessauftakt ein weiteres mg-Verfahren gegen eine Einzelperson angestrengt worden. Ob es dafür ein separates Aktenzeichen gibt und es sich somit um das sechste (!) mg-Verfahren handelt, oder ob es zu dem vierten Verfahren hinzugerechnet wird, ist bislang nicht bekannt.

Politischer Hintergrund des mg-Prozesses

Zur Erinnerung: In den frühen Morgenstunden wurden Axel, Florian und Olli auf einer Brandenburgischen Landstrasse in der Nähe der Stadt Brandenburg an der Havel, die für ihr ehemaliges großes Stahlwerk bekannt ist, durch ein „Mobiles Einsatz Kommando" (MEK) des Landeskriminalamtes (LKA) Berlin unsanft abgegriffen. Sie sollen durch das MEK-Observationsteam dabei beobachtet worden sein, wie sie Brandsätze unter drei Bundeswehr-LKWs auf einem Gelände des deutschen Rüstungskonzerns MAN abgelegt haben. Der Zugriff erfolgte aufgrund einer Direktive des BKA, das mit dem MEK in ständiger Verbindung stand und über die Entwicklungen in der Nacht in nicht näher defi nierten ‚regelmäßigen Abständen' unterrichtet wurde.

Zeitlich leicht verzögert, wurde der Berliner Soziologe Andrej Holm zu Hause festgenommen und wie die drei anderen zum Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof (BGH) nach Karlsruhe mit einem Hubschrauber sowjetischen Typs ausgeflogen.

In Karlsruhe bekamen die vier Festgenommenen den Haftbefehl, in dem ihnen die Mitgliedschaft in einer (damals noch) „terroristischen Vereinigung" nach §129a vorgeworfen wurde, in die Hand gedrückt. Für die drei in Brandenburg Aufgegriffenen stand eine mehrmonatige Untersuchungshaft an.

Der Haftbefehl gegen Andrej musste wegen offensichtlicher Unbegründetheit und öffentlichem Druck letztlich nach mehreren Wochen aufgehoben werden. Die ‚drei Brandenburger' erhielten nach einer Haftprüfung Ende November 2007 Haftverschonung, da im Kontext der staatlichen Verfolgung gegen vermeintliche Personenzusammenhänge der militanten gruppe nicht mehr von einer ‚terroristischen', sondern ‚nur' noch von einer sog. ‚kriminellen' Vereinigung nach §129 die Rede ist. Da die Haftbefehle nach §129a ausgestellt waren, war die Entlassung aus der Untersuchungshaft nur die logische Folge.

Nach einer EU-Angleichung der sog. Anti-Terrorparagrafen vor einigen Jahren, sind die Bestimmungen für das Vorliegen des ‚Straftatbestands' §129a etwas enger gefasst worden. Danach muss das subjektive und objektive Tatbestandsmerkmal zusammenkommen, um von einer ‚terroristischen Vereinigung' sprechen zu können. In dem BGH-Haftprüfungsbeschluss, in dem die mg als kriminelle und nicht terroristische Vereinigung eingestuft wurde, ist u.a. darauf verwiesen worden, dass die mg-AktivistInnen zwar über das subjektive Motiv verfügen, als RevolutionärInnen eine grundsätzliche gesellschaftliche Veränderung in der BRD und darüber hinaus erwirken zu wollen, allerdings sind die objektiven Voraussetzungen der Gruppierung mit den bisher angewandten Methoden und Mittel nicht gegeben, diesen Anspruch auch nur annähernd zu erfüllen.

Der §129-Prozess in Berlin

Seit dem 25. September 2008 läuft der Prozess gegen Axel, Florian und Olli vor dem Berliner Kammergericht, das mit den Oberlandesgerichten (OLG) in anderen Bundesländern vergleichbar ist. Dieses Gericht ist für Staatsschutzprozesse nach §129ff. in der Regel zuständig. Allerdings war vor Prozessauftakt nicht ganz geklärt, ob dieser Prozess nach der Herunterstufung von §129a auf §129 überhaupt vor dem Berliner Kammergericht stattfinden kann und eine diesbezügliche Zuständigkeit gegeben ist.

Die Verwunderung war bei den Prozessbeteiligten nicht groß, dass aufgrund der ‚besonderen Bedeutung' der inkriminierten mg dieser Prozess vor dem Kammergericht eingeläutet wurde. Bei einer anderen Entscheidung hätte das Verfahren an ein Brandenburger Landgericht abgegeben werden müssen. Das hätte eine zeitlich unabsehbare Verzögerung des Prozessauftaktes bedeutet.

Bisher sind 16 Verhandlungstage absolviert worden, weitere 9 stehen bislang bis Mitte Februar aus. In der Beweisaufnahme werden bis zum jetzigen Zeitpunkt ZeugInnen angehört, die vom Strafsenat des Kammergerichts geladen worden sind. In der Regel handelt es sich um BeamtInnen von BKA und LKA, die entweder am Schreibtisch mit dem Fall mg betraut sind bzw. vertraut sein wollen oder um aktenkundig gewordene MEK-Kräfte, die bei Observationen und dem Zugriff dabei waren. Diese treten in einer Art Karnevalskostüm in den ZeugInnenstand, damit ihr optisches Berufsgeheimnis gewahrt bleibt.

Es sind von den VerteidigerInnen bereits mehrere Befangenenheitsanträge gestellt worden, da die Verteidigerrechte aufgrund der elastisch interpretierbaren ‚Aussagegenehmigung' von BeamtInnen massiv beschnitten werden. Diese Aussagegenehmigungen machen es den AnwältInnen nahezu unmöglich, entlastende Ausführungen von den BeamtInnen zu erhalten. Alle diesbezüglichen Fragen werden in der Regel mit dem Hinweis, dass ‚eine Antwort nicht von der Aussagegenehmigung gedeckt sei', abgeblockt.

Eine anwaltliche Eingabe war bislang u.a. aufzuklären, ob es sich bei der mg um einen in sich geschlossenen, homogenen Block handelt oder eher um einen Dachverband, unter dem verschiedene Teilgruppen mit einer relativen Autonomie agieren. In dem Aktenbestand gibt es dazu von Seiten des BKA und der BAW unterschiedliche Deutungsmuster. Es ist möglicherweise interessant, wie sich die Klassenjustiz die interne Struktur einer klandestinen Organisierung vorstellt.

Nach den Weihnachtsferien wird der Prozess in eine neue Phase eintreten. Dann werden vor allem Beweisanträge von der Seite der VerteidigerInnen mit entsprechenden ZeugInnenvorladungen erwartet. Vermutlich im Frühjahr wird der Prozess zu Ende gehen. Dabei ist mit einer Verurteilung nach §129 zu rechnen, d.h. dass den Angeklagten mehrjährige Haftstrafen drohen.

Die einzelnen Details der Prozesstage werden regelmäßig und zeitnah von der Prozessbeobachtungsgruppe auf die Homepage des Einstellungsbündnisses gestellt. (Endlich einmal eine Gelegenheit, diesen FreundInnen und GenossInnen herzlich zu danken!)

Die Solidarität mit den Angeklagten

Die Anfänge der Solidaritätsarbeit der insgesamt sieben Beschuldigten dieses spezifischen mg-Verfahrens waren aufgrund der Heterogenität der Beteiligten kompliziert. Eine klare Linie konnte anfangs kaum entwickelt werden. Es galt einige Eckpunkte zu bestimmen, an denen sich die politische Unterstützung orientieren konnte. Auch das gelang erst Monate nach der Haftverschonung der ‚drei Brandenburger'. Einerseits verständigten sich das Einstellungsbündnis mit den dann später auch Angeklagten über den inhaltlichen Aufhänger Anti-Militarismus, da dies wegen des vorgeworfenen Anklagepunktes der versuchten Sabotage von NATO-Kriegsgerät nahe lag. Andererseits war klar, dass das mg-Verfahren nicht losgelöst von den eingeleiteten und später in sich zusammengefallenen §129a-Verfahren im Kontext der Repressionswelle gegen den Anti-G8-Widerstand im Sommer 2007 betrachtet werden konnte. Des Weiteren ist im Verlauf der Soliarbeit von einzelnen Beteiligten deutlich gemacht worden, dass der Staatsschutzangriff nicht auf eine ‚kritische Wissenschaft' abzielt, sondern ganz konkret gegen ein kontinuierlich arbeitende klandestine Struktur, nämlich die militante gruppe und mit ihr gegen linke Politik, gerichtet ist. Teile des solidarischen Umfeldes stellen dies seitdem stärker in den Vordergrund und verteidigen damit linke Politik insgesamt, insbesondere aber auch das mg-Projekt.

Darüber hinaus machte ein Teil der Angeklagten auf Veranstaltungen im Rahmen einer Infotour durch die BRD zum mg-Prozess deutlich, dass sie sich als Teil der revolutionären Linken verstehen und sich von der mg weder distanzieren noch zu ihr bekennen werden. Auch außerhalb des Einstellungsbündnisses entfalteten sich viele Initiativen.

U.a. wurde auf einer Veranstaltung unter dem Motto ‚Kriegsgerät interessiert uns brennend' die Legitimität antimilitaristischer Sabotage hervorgehoben. In einer Broschüre unter dem Titel ‚Noch so ein Sieg und wir verlieren den Krieg. Die Schlacht von Asculum und das Berliner mg-Verfahren' wurde der Versuch unternommen, Teile der bisherigen Soliarbeit und der Anwaltstätigkeit einer kritischen Zwischenbilanz zu unterziehen. Z.B. wurde kritisiert, dass die ‚revolutionäre Identität der mg' durch die tendenzielle ‚Verniedlichung' der Gruppenpolitik, um darüber möglicherweise das Vereinigungsdelikt vom Tisch zu bekommen, ignoriert wurde. Bemerkenswert ist in letzter Zeit vor allem die internationalistische Solidarität, die die Prozessbeteiligten erfahren. So engagiert sich vor allem die Rote Hilfe International mit ihren Sektionen in diesem Prozess. Grußbotschaften gab es u.a. auch von den Gefangenen der PC p-m (politisch-militärische Kommunistische Partei Italien). Der sich international ausgeweitete Aktionstag am 13.12.2008 kann ebenfalls als ein ermutigendes Signal einer internationalistischen Klassensolidarität gewertet werden. Das geknüpfte solidarische Band wird also aufzunehmen und zu verstärken sein!

Erstabdruck dieses Textes in: Gefangenen Info 1/2009. Das Gefangenen Info ist im Internet auf der Homepage www.political-prisoners.net zu finden.

Tags: mg | mg-verfahren